Neukölln ist überall (German Edition)
tschechische Republik jemals ins Ausland verschenkt hat. Sie wurde 1992 von Alexander Dubček enthüllt.
Ich könnte noch viel schreiben über dieses Neukölln, das so heterogen, so widersprüchlich ist: Dorfkirchen und -anger, Wasserkaskaden in Barockparks und Jugendstil-Brunnen, Windmühlen, in denen auch heute noch Korn gemahlen wird, die erfolgreiche Rudergesellschaft Wiking mit ihren bis dato 32 deutschen Meisterschaftstiteln, die vielfachen Weltmeisterinnen der Schwimm-Gemeinschaft Neukölln Franziska van Almsick und Britta Steffen, die zusammen mehr als ein Dutzend olympische Medaillen gewonnen haben, über Stadtbaurat Kiehl, der das Gesicht der Stadt veränderte, die Freiwillige Feuerwehr, die Häuslebauer, die Neubausiedlung Gropiusstadt, den Grenzkontrollpunkt Sonnenallee oder unsere berühmten Kinder- und Jugendchöre der Gropiuslerchen, aber leider auch über Intensivtäter, notwendigen Wachschutz vor unseren Schulen und organisierte Kriminalität. Neukölln reicht von Klein-Istanbul bis zum Dorfteich des Johanniterordens. Eine Schlafstadt waren wir noch nie und wollen es auch nicht werden.
Neukölln war immer lebendig und herausfordernd. Wer hier geboren und aufgewachsen ist, sein Leben hier verbracht hat, der ist gegen alle Fährnisse des Lebens gewappnet. Das Leben war und ist einfach ein bisschen rustikaler als dort, wo das Tafelsilber tatsächlich auf dem Tisch lag und seinen Namen auch verdiente. Zwar waren die Veränderungen in den letzten 50 Jahren so massiv, dass sich nicht wenige unter dem Motto » Das muss ich nicht haben« aus dem Staub gemacht haben; verpfiffen, heißt es am Stammtisch. Etwas vornehmer ausgedrückt: Sie sind segregiert. Auf die Gründe dafür werde ich noch ausführlich zu sprechen kommen.
Aber es bleibt die Heimat von über 300 000 Menschen, und die Horrorphantasien, die in manchen Köpfen herumgeistern – dass wir mit dem Stahlhelm auf dem Kopf durch Schützengräben hasten, um unversehrt den Arbeitsplatz oder die Wohnung zu erreichen –, haben etwas Amüsantes, sind aber fern der Realität. Genauso, wenn sich Reisegruppen erkundigen, ob sie ihren Bus am Rathaus stehen lassen können, ohne dass ihm etwas passiert. Richtig süß ist auch immer wieder, dass der sogenannte »Türkenmarkt« von panischen Veranstaltern in deren Programmen nach Kreuzberg verlegt wird, obwohl er sich eindeutig in Neukölln befindet. Auf Nachfragen erhalte ich schon gelegentlich das Geständnis, dass man den Teilnehmern durch das Verschweigen des Wortes »Neukölln« eventuelle Ängste nehmen möchte. Der Name »Tempelhof Airport« für ein Hotel, das mitten im Neuköllner Kiez liegt und mit dem ehemaligen Flughafen Tempelhof so viel zu tun hat wie der Elefant mit Pulloverstricken, zeigt ebenfalls, wie hysterisch überlagert der Umgang mit uns manchmal ist.
Eigentlich ist das schade. Neukölln hat so viel zu bieten und ist so spannend, dass es die Zeit eines Touristen oder eines hier lebenden Menschen durchaus ausfüllen kann. Natürlich sind auch Dinge darunter, die die Welt nicht braucht. Meist sind wir Neuköllner aber gar nicht schuld. Sondern wir baden vor Ort nur das aus, was uns Schöngeister auf anderen gesellschaftlichen Ebenen eingebrockt haben. Dazu gehören auch die Folgeprobleme einer scheinbaren Integrationspolitik. Aber das Schreckgespenst »Iss deinen Spinat auf, sonst ziehen wir nach Neukölln« ist gegen das von Canterville zahnlos. Das stellen immer mehr junge Leute fest. Neukölln ist »in«, zumindest der Innenstadtbereich. Man nennt ihn bereits Kreuzkölln. Das hören wir Neuköllner nicht allzu gern. Wir legen nämlich schon Wert auf ein ganz eigenes Flair. Sei es die ausgeprägte Kulturszene, richtig nette Bühnen von der Travestie bis zum Volkstheater, Galerien, Modelabel, Kneipen, Bars und eine echte Sprachenvielfalt, mehr als nur Türkisch und Arabisch. »48 Stunden Neukölln « ist inzwischen das größte Kulturfestival Berlins. Ein Schmaus für Liebhaber traditioneller Kunstformen, aber durchaus auch für Anhänger experimenteller wie durchgeknallter Kunstdarbietungen.
Was im Moment noch fehlt, ist eine wirklich bunte und gute Gastronomie. Die hält sich bis auf wenige Ausnahmen bisher hartnäckig in Kreuzberg und Schöneberg. Aber: Wir arbeiten daran! Die Eröffnung des neuen internationalen Flughafens Willy Brandt (auch »Neukölln International« genannt), die Veränderungen auf der Riesenfläche des ehemaligen Flughafens Tempelhof, all das wird das
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