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Neukölln ist überall (German Edition)

Neukölln ist überall (German Edition)

Titel: Neukölln ist überall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Buschkowsky
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Bezirkes Neukölln bilden, gehörten dereinst allerdings zum Refugium von Coelln. Noch heute weisen Namen wie Köllnische Wiesen und Köllnische Heide auf diesen Ursprung hin. Daran erinnerten sich die Stadtväter zur Zeit der Umbenennung und entschieden sich, den Namen der alten Schwesterstadt zu reanimieren. Sie ließen den Bindestrich weg, machten aus dem C ein K und aus dem oe ein ö. Das Doppel-l aber blieb – und schon war Neukölln geboren. Das verwirrt bis heute amerikanische Reisegruppen. Denen muss man dann erklären, dass Neukölln kein Vorort von Köln am Rhein ist. Na ja, man ist dort einfach andere Entfernungen gewohnt.
    Erst 1912 umbenannt, war es schon 1920 vorbei mit der Unabhängigkeit und städtischen Herrlichkeit. Mit dem Groß-Berlin-Gesetz wurden sechs selbständige kreisfreie Städte und fast 100 Landgemeinden und Gutsbezirke zu der Figur zusammengefasst, die wir heute Berlin nennen. Wir Neuköllner sagen, wir wurden okkupiert. An der Revanche arbeiten wir noch. Warten wir weitere Seiten im Geschichtsbuch ab.
    Zu jener Zeit waren Standards, wie sie in den späteren 1960er Jahren zur Normalität wurden, noch ein Traum. Die Toilette befand sich auf dem Hof, in Häusern mit etwas gehobenerem Komfort bereits im Treppenhaus eine halbe Etage tiefer. Natürlich immer für mehrere Parteien. An ein eigenes Bad oder eine eigene Dusche (die man damals so ohnehin nicht kannte) war gar nicht zu denken. Ziel für einen sozialen Aufstieg war der Umzug vom Hinter- in das Vorderhaus. Wer es dort dann auch noch in die »Beletage«, also in den ersten Stock, schaffte, der war zumindest in Gedanken dem Himmel sehr nahe. Realität war aber eher die Schwindsucht, unter der ganze Familien aufgrund der Wohnungsfeuchte litten. Denn viele Familien waren sogenannte Trockenwohner. Das heißt, sie zogen in gerade errichtete Häuser, die noch voller Baunässe waren, und wohnten sie trocken. Dafür war die Miete billig. Trotzdem waren oft noch sogenannte Schlafburschen vonnöten, um sie zusammenzukratzen. Das waren alleinstehende Männer, die am Tage in den Betten der Familie schliefen und abends die Wohnung wieder verließen. Sie bezahlten dafür etwa zehn Pfennig pro Tag.
    Es war also das, wofür später der Begriff »Zilles Milieu« geprägt werden sollte. Noch im Jahr 1990 gab es in Neukölln rund 15   000 Wohnungen ohne eigenes Bad und WC . Ich würde nicht gegenhalten, wenn jemand behauptete, auch heute noch solche Zustände entdeckt zu haben. Wie dramatisch die Lebensverhältnisse damals waren, kann man daran erkennen, dass das bis heute in Betrieb befindliche Stadtbad in der Ganghofer Straße als Einrichtung der Stadthygiene und der Seuchenprävention gebaut wurde. Das Problem war nur, dass die arme Stadt Rixdorf die Wasserrechnung nicht bezahlen konnte. Und so konnte der Bau erst freigegeben werden, nachdem sich die Charlottenburger Wasserwerke bereit erklärt hatten, das Wasser an die Städtische Badeanstalt unentgeltlich zu liefern.
    Seine Funktion behielt das Stadtbad bis lange nach dem Zweiten Weltkrieg. Noch im Jahr 1990 wurden dort 80   000 Reinigungsbäder in der Wanne oder unter der Dusche verabreicht. Bis heute dient das Bad immer wieder als beeindruckende Kulisse für Filme, die das Feeling einer antiken Thermenanlage benötigen. Es ist auch ein ausgesprochen imposantes Schmuckstück. Heute würde man sagen, eine völlig abgefahrene Event-Location. Wenn es Sie einmal zu uns verschlägt, sollten Sie nicht versäumen, eine Eintrittskarte zu kaufen und sich das Bad von innen anzusehen. Erfahrungsgemäß gibt das Personal auch gern den Stadtbilderklärer.
    Nach dem Zweiten Weltkrieg verschoben sich die Gewichte in den Süden des Bezirks. Die Einfamilienhausbebauung nahm deutlich zu, und auf den Feldern von Rudow und Buckow entstand die Gropiusstadt, eine Neubausiedlung mit 19   000 Wohnungen für 50   000 Menschen. Wohnraum war knapp. So wurden die Pläne des Architekten Walter Gropius einfach verdichtet. Dies geschah in einem Umfang, der Gropius so verärgerte, dass er sich von der Siedlung distanzierte. In jahrelangem Bemühen wurden die Wogen wieder geglättet, und so war der Architekt dann doch einverstanden, dass die Siedlung den Namen ihres ursprünglichen geistigen Vaters erhielt.
    Mit dem voranschreitenden Bau der Gropiusstadt vollzog sich eine Wanderungsbewegung aus dem Norden. Jede Wohnung war mit eigenem Bad und eigenem WC , teilweise sogar mit Gästetoilette ausgestattet, hell und verfügte

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