Neuland
habe die Landschaften noch vor Augen und den Reiserhythmus noch im Körper. Und um ehrlich zu sein – auch Du fließt noch in meinem Blut.
Wirst du mir weiterhin schreiben?
Dein,
Señorita Inbar
P.S. Es ist schwer für mich, meine Großmutter in diesem Zustand zu sehn. Sie ist doch immer mein Anker gewesen.
P.S. 2 Dieser Krieg hat etwas Unwirkliches, meinst Du nicht auch? Kann es sein, dass » Señor Neuland « letztlich doch Recht hat?
To: Inbar
From: Dori
Subject: Re: Re: Re: Ich mach mir Sorgen
Señorita Inbar,
diese Mails erinnern mich an etwas. Gegen Ende des Wehrdienstes haben sie uns auf eine Exkursion zum Entwicklungsinstitut des Armee-Nachrichtendienstes geschickt. Da gab es schon Computer, aber die waren noch nicht richtig gesichert. Die wirklich geheimen Nachrichten wurden deshalb über so eine Rohrpostanlage, die durch alle Büros lief, an die Projektleiter geschickt. Diese geheimen Nachrichten nannten wir »Bomben«, weil sie in Form von Schriftrollen über ein Unterdruck-System zu der persönlichen Box dessen, der sie lesen sollte, geschickt wurden. Ich hab eine Bombe bekommen, berichtete der Projektleiter dann dem Sektionsleiter. So ungefähr komm ich mir vor, wenn ich in der Inbox Deinen Namen sehe. Ich hoffe, Du behältst meine Mails für Dich. Ein Forward , und ich bin tot.
Ich muss zugeben, mir erscheint unsere Reise schon ziemlich weit weg. Kinder haben etwas an sich, dass sie einem keine andere Wahl lassen, als zu sein. Und bei meinem Sohn ist das noch auffälliger (wir haben eigentlich nie über ihn geredet, nicht wahr?). Seit ich zurück bin, zeigt er’s mir so richtig. In den ersten beiden Tagen hat er mir noch nicht mal erlaubt, ihn zu umarmen. Danach durfte ich ihn umarmen, aber er erklärte mir, er habe nicht vor, meine Umarmung zu erwidern. Und die Nächte sind sowieso der Albtraum. Der kleine Ödipus hat sich nämlich daran gewöhnt, bei seiner Mama zu schlafen, und findet es gar nicht gut, dass ich ihm seinen Platz wieder streitig mache. So steht er etwa um drei Uhr nachts aus seinem Bett auf, kriecht in unseres und fängt an, mich rauszutreten. Das ist das Kind, das ich – ich kann es nicht anders beschreiben – wie verrückt liebe. Wir hatten von Anfang an eine sehr enge Bindung. Er ist ein wunderbarer Junge (ganz objektiv …), klug, sensibel und auch noch sehr hübsch. Aber vor meiner Reise hatte er viele Schwierigkeiten. Die Abschiede morgens im Kindergarten waren unerträglich. Außerdem wollten andere Kinder nie zu uns nach Hause kommen, und wir haben nicht wirklich begriffen, warum. Und es gab noch ein paar Dinge, mit denen wir nicht umzugehen wussten. Etwa, dass er behauptete, es würde im Haus stinken. Egal wie viel wir lüfteten, er hat sich weiter über Gestank beklagt. Und bevor ich gefahren bin, hat er die ganze Zeit geweint. Doch nun hat meine Reise mehr bewirkt als ein Jahr Familientherapie: Der Junge weint nicht mehr, er läuft zufrieden durch die Welt, als sei ich oder die Beziehung zu mir die ganze Zeit das Problem gewesen.
Ich hoffe, es ist für Dich okay, dass ich Dir von ihm schreibe. Es käme mir falsch vor, über andere Dinge zu schreiben, wo er es ist, der mich wirklich beschäftigt.
Damit Du verstehst, wie sehr er und ich miteinander verbunden sind: Gestern hab ich ihn gebadet, und plötzlich hebt er den Blick – seine Augen sind so blau wie die meines Vaters – und fragt mich: Papa, wer ist Inbar?
Ich schwöre Dir, das hat er gesagt.
Ich weiß nicht, antworte ich ihm, vielleicht ein Mädchen in deinem Kindergarten?
Nein, sagt er, im Kindergarten gibt es keine Inbar. Dann wollte er, dass ich ihm die Badewannenfarben bringe, und hat die ganze Sache vergessen.
Aber ich nicht. Sowas wie Du, Inbar, ist mir noch nicht passiert. Ich hab keine Ahnung, wie ich das verdauen soll. Vielleicht kann man sowas auch gar nicht verdauen, und der Weg, den man nicht gegangen ist, muss einfach außerhalb der Realität bleiben. Das heißt, dass wir aufhören sollten, uns zu schreiben. Und zwar sofort. Ja, und sogar diese Mail hier sollte ich im Grunde nicht abschicken.
Dori
P.S.
Es tut weh zu sehen, wie ein Mensch, den man liebt, vor den eigenen Augen verlischt. Ich erinnere mich, wie das mit meiner Mutter war. Zum Schluss wollte ich schon, dass sie endlich stirbt.
Allerletztes P.S.
Dieser Krieg wird wirklich jeden Tag sonderbarer. Ich weiß nicht, ob »Señor Neuland« Recht hat, aber eine gute Sache ist für mich bei dem Besuch auf jeden Fall
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