Neuland
beginnt ihr Magisterstudium in Internationale Beziehungen.
Dori nickt zustimmend, versteht aber noch immer nicht die Beziehungen in diesem Dreiergespann, und stellt sich für einen Moment eine Welt vor, in der alle in Dreierbeziehungen leben würden. Wie viele Probleme würde das lösen, und wie viele neue Probleme schaffen, er überlegt sich, dass im Grunde auch er in einem Dreiecksverhältnis lebt, mit Neta und Roni. Wenn du was brauchst, sagt Noya, während sie ihn am Arm berührt und seine Gedanken unterbricht, dann sag Bescheid. Wir sind zu allen Themen gut vernetzt. Hotels, Trecks, Preise.
Danke, wir sehn uns auf dem Flug, sagt er sehr viel kühler, als er wollte, und sie weichen zurück, als hätte er sie mit der Hand von sich gestoßen, gehen weiter, kümmern sich um ihre Angelegenheiten. In letzter Zeit passiert ihm das öfter. Schade, denkt er,dieser Ton passte nicht zur Situation und auch nicht zu dem, was er fühlte. Als habe er vergessen, wie man sich gegenüber Menschen benimmt, die nicht die eigenen Schüler sind. Als habe er die einfache Fähigkeit verloren, ein Gespräch auf Herzenshöhe zu führen, Gemeinsamkeiten zu ertasten, sich anzunähern.
Von seinem Tisch aus verfolgt sein Blick die drei weiter, wie sie in die Duty-free-Shops gehen und wieder herauskommen, ohne etwas gekauft zu haben. Ihre Bewegungen sind fröhlich, ihr Gehen, ihr Verweilen, die Art, wie Noya alle paar Sekunden ihr schönes schwarzes Haar von einer Seite auf die andere legt. Sie ziehen sich die ganze Zeit gegenseitig auf, stoßen mit Rotwein an, lassen sich noch einmal fotografieren, diesmal vor der Fontäne.
Über der Fontäne hängt die Anzeigetafel mit den Abflügen. Neben seinem Flug steht: in time .
Auch Doris Freunde – seine ehemaligen, denn alle seine Freunde wurden mit Netas Geburt zu Ehemaligen – waren nach dem Wehrdienst »ausgeflogen«. Vorher hatten sie Spanisch gelernt, Vorträge bei Globetrotter besucht, die miesesten Jobs gemacht, um das Geld fürs Ticket zusammenzukriegen.
Er war nicht gefahren. Sein größtes Bedürfnis nach der Entlassung aus dem Wehrdienst war nicht, Ferien zu machen, sondern etwas zu finden, worin er gut war, etwas, wodurch er nach den drei Jahren, in denen er aus der Sicherheitszone libanesische Dörfer beobachtet hatte, ein bisschen Selbstvertrauen schöpfen und sich selbst wiederfinden konnte. Auf dem Campus des Skopusbergs in Jerusalem hatte er Roni getroffen, die mit der für sie typischen Entschiedenheit konstatiert hatte, »alle diese Reisen sind doch nur eine große Flucht und der Versuch, das wirkliche Leben hinauszuzögern«, und damit war die Möglichkeit, dass er ein Backpacker wurde, endgültig begraben, denn ab dem Moment, da er Roni getroffen und seine Seele mit ihrer verflochten hatte, war er nicht mehr in der Lage, sich von ihr zu trennen, ohne dass sich zu seinen Füßen ein ziehender Abgrund der Sehnsucht auftat. Seine Freunde dagegen kehrten von ihren langen Reisen mit geschmacklosenGeschenken und unerschöpflichen Reserven von Insiderwitzen zurück. Noch Jahre später erinnerten sie sich plötzlich an eine brasilianische Drag Queen, die sie auf dem Karneval getroffen hatten, oder an eine misslungene Sandskifahrt in Peru, und schmissen sich weg vor Lachen. Auch er hatte mitgelacht. Er hatte die Geschichten so oft gehört, dass er meinte, selbst dabei gewesen zu sein. Und siehe da, mit einer leichten Verspätung von fünfzehn Jahren würde er wirklich dort sein. Kleine Wellen der Reisefreude regen sich in ihm, doch sofort, um ihren Eindruck zu verwischen und sich an den wahren Grund seiner Reise zu erinnern, stellt er den Kaffee auf den Tisch, zieht drei Fotos seines Vaters hervor und legt sie vor sich hin.
Das erste, ein gewöhnliches Automatenbild Marke Fahndungsfoto, das Ze’ela, seine Schwester, in der Schublade bei Vaters Unterlagen gefunden hat. Ein Gesichtsausdruck der Überraschung. Schon die Ausleuchtung ist nicht gerade schmeichelhaft, das Closeup brutal. Und dennoch, sogar auf einem Automatenfoto kommt sein Vater noch gut rüber: weicher Blick, urteilssichere Nase, weise Stirn. Frauen haben seinen Vater immer angelächelt. Als Kind hatte Dori nicht verstanden, warum, aber als er etwas älter war und sich die Mädchen seiner Klassenstufe beim Elterntag um ihn und seinen Vater drängten und tuschelten, begriff er, dass sein Vater gut aussah, und hoffte, etwas davon werde auf ihn übergehen. Irgendwie. Wenn nicht gleich, dann wenigstens später
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