Neuland
herausgekommen: Ich hab gestern jemanden angerufen, der bei uns an der Schule Musik unterrichtet, und gefragt, ob ich bei ihm mein Trompetenspiel auffrischen kann, und wir haben einen Termin für nächste Woche gemacht. Das ist doch was, meinst du nicht auch?
To: Dori
From: Inbar
Subject: Wer wirklich aufhören will zu korrespondieren, beendet seine Mails nicht mit einer Frage
Ich freue mich, Dir mitteilen zu können, dass jetzt auch bei uns Matratzenchaos herrscht. Fünfzig Meter entfernt vom Haus von Ejtans Familie in Jokneam ist eine Grad-Rakete runtergekommen, und auch sie sind zu uns geflüchtet. Mein Vater und Ejtan haben den Balkon entmistet, ihn mit Bahnen von Segeltuch zugehängt, Licht und einen Deckenventilator installiert, und jetzt haben wir vier Zimmer.
Sogar der Geruch der Wohnung hat sich in den letzten Tagen verändert. Jede Wohnung hat ihren eigenen Geruch; in dem unserer Wohnung mischten sich die Gerüche von Ejtans Aftershave, von meinem Shampoo, unserem Lieblings-Weichspüler und das ziemlich schimmelige Aroma des großen alten Teppichs im Wohnzimmer.
Jetzt gibt es hier ganz neue Gerüche: den Altersgeruch meiner Großmutter. Den Duft eines deutschen Parfüms, das meine Mutter wohl in letzter Zeit verwendet, und Reuvens Schokoladengeruch. Den Geruch der Verlegenheit, den mein Vater verbreitet, und, den schärfsten von allen: der Schweiß von Ejtans pubertierenden Brüdern, genauer gesagt: von billigem Deodorant, das sie sich unter die Achseln sprühen, wenn sie schon verschwitzt sind … Dass du mich nicht falsch verstehst. Ich bin total verrückt nach Ejtans Familie, aber es ist merkwürdig, in dem Bewusstsein mit ihnen zusammen zu sein, dass ich mich wohl bald von ihm trennen werde. Ich glaube, tief in mir drinnen, an einem Ort, an den der Selbstbetrug nicht rankommt, hab ich schon lange gewusst, dass ich das tun muss. Aber zwei Begegnungen haben mir geholfen, mir das einzugestehen.
Die erste mit Dir. Die zweite mit Reuven, meinem Bruder. Es stimmt so genau, was du geschrieben hast, dass Kinder dich zwingen zu sein. In dem Moment, wo er in die Wohnung kommt – gehöre ich ihm. In den paar Stunden, in denen er bei mir ist, denke ich nur daran, wie ich ihm Freude machen kann (und noch nicht einmal an Dich!). Wir spielen alles, was er spielen will: Lego, Verstecken, Fangen. Ich hab ihm auch Ochs am Berg beigebracht, undjedes Mal, wenn er mit seinem australischen Akzent »Ochs am Berg, eins zwei drei« ruft, schmeiß ich mich weg vor Lachen. Ich bin gern mit ihm zusammen. Und er auch mit mir. Ihm verdanke ich die Einsicht, worin ich falschlag: Es ist nicht so, dass ich keine Kinder haben will, ich möchte sie nur nicht mit Ejtan.
Warum verlässt du ihn dann nicht?, höre ich Deine tiefe Stimme hinter den judäischen Bergen.
Weil trotz allem, Mister Dori, etwas Mut dazu gehört, jemanden zu verlassen, der einen so liebt.
Ich sammel ihn jetzt, den Mut. Tag für Tag. Stunde für Stunde. Und ich warte darauf, dass dieser Krieg vorbeigeht und man in diesem Haus ein vernünftiges Gespräch über Trennung führen kann.
Dein,
Inbar
P.S. Toll, dass Du wieder mit Spielen anfängst. In Neuland hast Du so wunderbar gespielt, als wären die Trommeln ein Teil von Dir. Du bist garantiert auch auf der Trompete ein Star. Und wenn Du im nächsten Krieg neben David Broza in den Luftschutzbunkern auftrittst, werd ich sagen können, dass ich dabei war, als das alles anfing. Erzähl mir jedenfalls, wie die erste Stunde war. Ich habe übrigens endlich begonnen zu schreiben. Noch nicht den großen Roman, nur eine kleine Geschichte über ein junges jüdisches Mädchen aus Buenos Aires, das sich in den Sohn eines Nazis, der in Argentinien untergetaucht ist, verliebt (aus einem unerfindlichen Grund beschäftigen mich unmögliche Lieben in letzter Zeit sehr …).
P.S. 2 Wegen Forwarden mach Dir keine Sorgen; ich will nicht, dass Du stirbst.
P.S. 3 Und mach Dir auch wegen Deinem Sohn keine Sorgen. Als ich entdeckte, dass mein Vater eine neue Familie hat, bin ich ihmsehr böse gewesen. Aber man kann nicht lange auf denjenigen der Eltern böse sein, an den man mit den dickeren Stricken gebunden ist. Ich seh es ja, er ist jetzt hier, und ich hege in meinem Herzen keinen Groll gegen ihn. Meistens wenigstens.
To: Dori
From: Inbar
Subject: Eine Idee
Hi,
ich weiß, eigentlich müsste ich Deine Antwort abwarten, aber plötzlich dachte ich, ich werfe Dir einen Zettel über die Mauer, auf dem steht: Solln wir uns
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