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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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Case das zweite Kirin hinstellte.
    »Ich hab keins.«
    »Miss Linda Lee.«
    Case schüttelte den Kopf.
    »Kein Mädchen? Nichts? Nur Geschäfte, mein Künstlerfreund? Voll dem Kommerz verschrieben?« Ratz’ kleine braune Augen
saßen tief in faltigen Höhlen. »Mit ihr hast du mir, glaub ich, besser gefallen. Hast mehr gelacht. Irgendwann übernimmst du dich vielleicht mal beim Jonglieren und landest in den Organbanken, im Ersatzteillager.«
    »Mir kommen die Tränen, Ratz.« Case trank sein Bier aus, bezahlte und ging, die schmalen Schultern in der regennassen, khakifarbenen Nylonwindjacke hochgezogen. Als er sich durch die Menschenmenge auf der Ninsei zwängte, roch er den eigenen muffigen Schweiß.
     
    Case war vierundzwanzig. Mit zweiundzwanzig war er ein Cowboy, ein Aktiver gewesen, einer der besten im Sprawl. Er war bei den ganz Großen in die Lehre gegangen, bei McCoy Pauley und Bobby Quine, Legenden im Geschäft. Mit ständigem Adrenalinüberschuss, einem Nebenprodukt seiner Jugend und seines Könnens, hing er an einem speziellen Cyberspace-Deck, das sein entkörpertes Bewusstsein in die Konsens-Halluzination der Matrix projizierte – ein Dieb, der für andere, reichere Diebe arbeitete, für Auftraggeber, die die erforderliche exotische Software lieferten, um schimmernde Firmenfassaden zu durchdringen und Fenster zu reichen Datenfeldern aufzutun.
    Er beging den klassischen Fehler, obwohl er sich geschworen hatte, gerade den um jeden Preis zu vermeiden: Er bestahl seine Auftraggeber. Er zweigte etwas für sich ab und versuchte, es über einen Hehler in Amsterdam zu verticken. Er wusste noch immer nicht genau, wie sie ihm auf die Schliche gekommen waren, obwohl das jetzt freilich keine Rolle mehr spielte. Als es dann so weit war, rechnete er mit dem Tod, doch sie lächelten nur. Natürlich könne er das Geld gern behalten, meinten sie, sehr gern. Er werde es auch brauchen. Denn – noch immer lächelnd – sie würden dafür sorgen, dass er nie wieder arbeiten könne.

    Sie schädigten sein Nervensystem mit einem russischen Mykotoxin aus Kriegszeiten.
    In einem Hotel in Memphis ans Bett gefesselt, halluzinierte er dreißig Stunden lang. Mikron für Mikron brannte sein Talent aus.
    Der Schaden war winzig und unauffällig, aber äußerst wirksam.
    Für Case, der für die körperlosen Freuden des Cyberspace gelebt hatte, war es der Sturz in den Abgrund. In den Bars, in denen er als Supercowboy verkehrt hatte, gehörte bei der Elite der Branche eine gewisse lässige Verachtung fürs Fleisch zum guten Ton. Der Körper war nur Fleisch. Und nun war Case ein Gefangener seines Fleisches.
     
    Seine ganze Habe war schnell in Neue Yen eingetauscht, ein dickes Bündel Scheine der alten Papierwährung, die endlos durch die geschlossenen Kanäle des weltweiten Schwarzmarkts kursierte wie die Muscheln der Trobriand-Insulaner. Es war schwierig, im Sprawl legale Geschäfte mit Bargeld abzuwickeln; in Japan war es bereits verboten.
    In Japan, so hatte er sich verbissen eingeredet, würde er hundertprozentig Heilung finden. In Chiba. Entweder in einer registrierten Klinik oder in der Grauzone der schwarzen Medizin. Chiba, ein Synonym für Implantationen, Nervenspleißen und Mikrobionik, war ein Magnet für die technokriminellen Subkulturen des Sprawl.
    In Chiba hatte er seine Neuen Yen in einer zweimonatigen Serie von Untersuchungen und Konsultationen dahingehen sehen. Die Leute in den schwarzen Kliniken, seine letzte Hoffnung, hatten die gekonnte Verstümmelung bestaunt und dann langsam den Kopf geschüttelt.
    Nun schlief er in den billigsten Särgen, denen in unmittelbarer Hafennähe unter den Halogenstrahlern, die die Docks
Tag und Nacht wie riesige Bühnen beleuchteten; wegen des grellen Fernsehhimmels waren von dort die Lichter von Tokio nicht zu sehen, nicht einmal das himmelhohe holografische Logo der Fuji Electric Company, und die Bucht von Tokio war nichts als eine weite schwarze Fläche, auf der weiße Styroporhaufen trieben, über denen Möwen kreisten. Hinter dem Hafen lag die Stadt mit ihren Fabrikkuppeln, die von den riesigen Würfeln der Unternehmensarcologien überragt wurden. Hafen und Stadt waren durch einen schmalen Gürtel älterer Straßenzüge getrennt, ein Niemandsland ohne offiziellen Namen. Night City mit einer Straße namens Ninsei als Herz. Bei Tag waren die Bars an der Ninsei mit Rollläden verschlossen und unscheinbar; die Neonbeleuchtung war aus, die Hologramme warteten deaktiviert unter dem

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