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Neuromancer

Neuromancer

Titel: Neuromancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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unsichtbaren Nylonschlingen auf scharlachrotem Ultravelour befestigt und in der Mitte mit Drachen oder Yinyang-Symbolen geprägt. Sie warfen das Neonlicht von der Straße verzerrt zurück. Case hatte den Eindruck, daß dies seine Leitsterne waren, sein Schicksal, von einer Konstellation aus billigem Chrom dargestellt.
    »Julie«, sagte er zu seinen Sternen. »Zeit, den alten Julie zu besuchen. Er wird's wissen.«
    16
    Julius Deane, dessen Stoffwechsel allwöchentlich mit einem Vermögen
    an Seren und Hormonen eifrig zurechtfrisiert wurde, war hundertfünf—undreißig Jahre alt. Sein wichtigster Schutz gegen das Altern bestand aus einer jährlichen Pilgerfahrt nach Tokio, wo Gentechniker den Kode seiner DNS neu einstellten, ein Verfahren, das in Chiba nicht verfügbar war. Anschließend flog er immer nach Hongkong, um sich die Anzüge und Hem—den fürs ganze Jahr anfertigen zu lassen. Impotent und ungemein geduldig, schien er sich Befriedigung vornehmlich durch seinen Spleen für ausgefallene Garderobe zu verschaffen. Case hatte ihn nie zweimal im selben Anzug gesehen, obwohl er ausschließlich peinlich genaue Nachbildungen der Mode des vorigen Jahrhunderts trug. Er präsentierte sich gern mit einer Brille mit schmalem Goldgestell und pink Gläsern aus synthetischem Quarz, facettiert wie die Spiegel in einem viktorianischen Puppenhaus.
    Sein Büro befand sich in einem Lagerhaus hinter Ninsei. Einige Räume waren wohl vor Jahren spärlich eingerichtet worden mit einer bunten
    Sammlung europäischer Möbel, als hätte Deane einmal die Absicht gehabt, diese Zimmer als Wohnung zu nutzen. Neoaztekische Bücherregale, auf denen sich Staub sammelte, säumten die Wände des Zimmers, in dem Case wartete. Zwei plumpe, bauchige Lampen im Disney-Stil standen auf einem niedrigen Beistelltisch im Kandinsky-Look aus rotlackiertem Stahl.
    Eine Dali-Uhr hing zwischen den Bücherregalen an der Wand. Das verzerrte Zifferblatt reichte bis zum blanken Betonboden. Die Zeiger bestanden aus Hologrammen, die sich im Einklang mit dem verzerrten Zifferblatt beim Drehen veränderten, aber nie die korrekte Zeit angaben. Das Zimmer war vollgestopft mit stapelbaren, weißen Versandboxen aus Fiberglas, die nach kandiertem Ingwer rochen.
    »Scheinst sauber zu sein, Alter«, erklang Deanes körperlose Stimme. »
    Komm doch rein!«
    An der massiven Tür mit Rosenholzimitat links von den Bücherregalen
    schoben sich Magnetbolzen zurück. Auf dem Plastikfurnier stand JULIUS
    DEANE IMPORT EXPORT in selbstklebenden Großbuchstaben, die abblätterten. Wenn die Möbel in Deanes provisorischem Vorzimmer an das Ende des letzten Jahrhunderts erinnerten, so schien das eigentliche Büro vom Beginn zu stammen.
    Deanes fugenloses, rosiges Gesicht musterte ihn aus dem Lichtkegel ei—17
    ner antiken Messinglampe mit rechteckigem, dunkelgrünem Glasschirm.
    Der Importeur war hinter einem riesigen Schreibtisch aus lackiertem Stahl verschanzt, beidseitig eingekeilt von hohen Schränken mit vielen Schüben aus hellem Holz. Aktenschränke, vermutete Case, wie sie in präelektronischer Zeit zur Aufbewahrung schriftlicher Unterlagen gebräuchlich waren.
    Die Schreibtischfläche war übersät mit Kassetten, vergilbten Bögen von bedrucktem Endlospapier und verschiedenen Teilen einer uhrwerkähnlichen Schreibmaschine, die zusammenzubauen Deane offenbar nie schaffte.
    »Was führt dich zu mir, Junge?« fragte Deane und bot Case ein längliches Bonbon an, das in blau-weiß-kariertes Papier eingewickelt war. »Probier mal! Ting Ting Djahe, die allerbesten.« Case lehnte das Ingwerbonbon ab, setzte sich auf einen knarrenden Holzdrehstuhl und strich mit dem Daumen an der ausgebleichten Beinnaht seiner schwarzen Jeans entlang. »Julie, ich höre, Wage will mich umbringen.«
    »So so, nun gut. Und wer sagt das, wenn ich fragen darf?«
    »Die Leute.«
    »Die Leute«, sagte Deane, an seinem Ingwerbonbon lutschend. »Was für Leute? Freunde?«
    Case nickte.
    »Nicht immer ganz einfach zu unterscheiden, wer deine Freunde sind,
    was?«
    »Schulde ihm ein bißchen Geld, Deane. Hat er was zu dir gesagt?«
    »Hab ihn 'ne Weile nicht gesehen.« Deane seufzte. »Falls ich natürlich was wüßte, könnt ich's dir nicht unbedingt sagen. So wie die Dinge stehen, du weißt schon.«
    »Dinge?«
    »Er ist 'ne wichtige Connection, Case.«
    »Klar. Will er mich killen, Julie?«
    »Nicht daß ich wüßte.« Deane zuckte mit der Achsel, als verhandelten sie über den Preis von Ingwer. »Wenn es

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