nevermore
besser gesagt, das Buch - zerstört hast, auch die Seite vernichtet, auf der dein Name stand. Dein einziger Kontakt zur Traumwelt war somit durchtrennt und du hast wieder ganz und gar hier in deiner Welt existiert. Und schließlich hat das Feuer, weil es von dir in der Traumwelt erschaffen wurde und somit selbst auch ein Traum war, in dem Augenblick aufgehört zu existieren, als die beiden Welten wieder voneinander getrennt wurden.«
»Sie wollte, dass ich mich mit ihr zusammentue«, platzte Isobel heraus.
»Dann«, sagte Reynolds und klang nicht überrascht, »vermute ich, dass sie von der Kraft wusste, die dich beschützte. Unverwundbarkeit in Form einer körperlich existierenden Gestalt, die zwischen zwei Welten gefangen ist? Mehr Macht kann sie sich gar nicht wünschen.«
»Was ist mit dir?«, wollte Isobel wissen. »Hast du von dem Schutz gewusst?« Sie stellte die Frage, obwohl sie die Antwort darauf bereits kannte. Einen endlosen Augenblick lang hing sie zwischen ihnen in der Luft. Unbehagen machte sich in Isobels Magen breit und krampfte ihn so sehr zusammen, dass ihr übel wurde. Sie wünschte sich, dass sie die Frage nie ausgesprochen hätte. Hätte er von Anfang an gewusst, dass sie unter Varens Schutz stand, hätte er sich nicht gewundert, dass sie noch lebte.
»Vor langer Zeit«, sagte er schließlich, »habe ich einem Freund versprochen, dass ich unter keinen Umständen zulassen würde, dass das, was zu seinem Tod führte, seine oder irgendeine andere Welt jemals wieder bedroht. Um jeden Preis.«
Isobel blinzelte lange und langsam. Sie blickte auf ihre Hände, die in ihrem Schoß lagen, und auf die ramponierten und fleckigen Rüschen ihres einst pinkfarbenen Kleides. »Ich war ... der Preis«, sagte sie schließlich. »Du dachtest, dass es mit mir vorbei wäre, wenn ich das tun würde, was du mir gesagt hattest. Das ist es, was Lilith damit gemeint hat, als sie angedeutet hat, dass du mir nicht alles erzählt hast.« Reynolds Schweigen sagte ihr, dass sie ins Schwarze getroffen hatte.
Er beobachtete sie und im Gegenzug musterte Isobel den Teil seines Gesichts, den sie sehen konnte - den Streifen Haut um seine Augen herum. Es waren junge Augen. Täuschend jung. Wer konnte schon sagen, wie alt dieser Typ wirklich war? Älter als Weihnachten wahrscheinlich. Besonders, da er den angestaubten Ehrenkodex eines Aztekenpriesters hatte, dessen Aufgabe es ist, Opfer auf dem Altar darzubringen. Sie blickte wieder auf ihre Hände und gab sich größte Mühe, so zu tun, als würde es ihr nichts ausmachen. »Du hättest es mir sagen können, weißt du. Ich ... ich hätte trotzdem ... wenn ... wenn das die einzige Möglichkeit gewesen wäre, um ... um ihn zu retten.«
Sie wartete darauf, dass er etwas sagte. Dass er ihr sagte, dass er nicht wirklich geglaubt hatte, dass sie sterben würde. Aber statt-dessen sagte Reynolds: »Es ... es tut mir nicht leid, dass du überlebt hast.«
Isobel lachte, doch es klang nicht sehr überzeugend. Es war lustig, denn sie wusste, dass er es ernst meinte. Und es bedeutete vermutlich ziemlich viel, dass er es überhaupt aussprach. Sie schluckte mühevoll. Um die Wahrheit zu sagen, war die Erkenntnis, dass er sie ohne auch nur die geringste Vorwarnung losgeschickt hatte, um lebendig gegrillt zu werden, nichts, was ihr besonders behagte. Aber immerhin hatte er sie abgeholt, nachdem alles vorbei gewesen war. Er hatte Varen dabei geholfen, zurückzukommen. Und er hatte auch sie nach Hause gebracht. Zumindest hatte er sich um sie gekümmert, richtig?
»Was bist du überhaupt?« Wenn sie schon dabei waren, die Dinge beim Namen zu nennen, dann konnte sie auch das fragen.
»Das tut nichts zur Sache.«
»Lilith hat gesagt, dass du eine verlorene Seele bist.«
»Ja, so kann man meine Existenz beschreiben, nehme ich an
»Wäre das auch mit Varen passiert? Wenn ich nicht... ?«
»Möglich«, meinte Reynolds. Dann wandte er den Blick ab und ergänzte leise: »Ja. Zumindest... am Ende.«
Sie wandte den Kopf und sah Reynolds an. Er hatte so tieftraurig geklungen, sie konnte einfach nicht anders: »Was bedeutet es, eine verlorene Seele zu sein?«
Vielleicht war es der Anflug von Mitgefühl in ihrer Stimme, den er so unerhört fand, oder vielleicht war es auch einfach der Wechsel des Gesprächsthemas von Varen zu ihm. Auf jeden Fall hatte sie mit dieser Frage anscheinend eine Grenze überschritten. Reynolds’ Ton wurde schärfer.
»Isobel, nach heute Abend wirst du mich nicht
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