Nibelungen 04 - Das Nachtvolk
Seite, und dicht neben ihn stieß klirrend ein Speer auf die steinernen Bodenplatten des Wehrgangs.
»Fahrt zur Hölle, ihr Teufel!« ertönte der tiefe Baß des B i schofs. Golo sah den Jungen, der ihn angegriffen hatte, mit ze r schmettertem Gesicht zu Boden stürzen.
Mit Mühe kam der ehemalige Knecht wieder auf die Beine. Das verdammte Kettenhemd machte ihn langsam. Jetzt wünschte Golo sich, er hätte härter mit Jehans Waffenmeister geübt. Noch zwei weitere Ritter waren auf die Mauer geko m men. Schild an Schild schirmten sie das Ende der Leiter ab. Links von ihnen versuchten zwei Männer die Leiter mit einer langen Stange von der Mauer wegzustoßen.
»Mir nach!« Jehan hatte seinen Streitkolben hoch über den Kopf erhoben und griff die Krieger zu ihrer Linken an. Ein Pfeil schlug krachend in Golos Schild. Der junge Ritter fluchte leise. Er kam von der anderen Seite der Mauer. Einer ihrer eigenen Männer mußte ihn abgeschossen haben.
Die beiden bunt bemalten Krieger ließen jetzt die Stange fa l len und zogen ihre Schwerter. Golo wartete den Angriff seines Feindes ab. In dem Moment, als die Klinge seines Gegners auf seinen Schild niederfuhr, trieb er dem Mann sein Schwert in den ungedeckten Bauch.
»Gut gemacht, Junge! Ich sehe, aus dir wird noch ein Mann und … « Der Bischof brach mitten im Satz ab und wandte sich zur Brüstung. »Bei allen Heiligen! Diese Hundesöhne! Sie mü s sen die Dämme durchstochen haben!«
Golo folgte dem Blick des Kirchenfürsten. Es war windstill, und der Nebel war vom erstarkenden Sonnenlicht fast aufg e löst. Zum ersten Mal an diesem Morgen konnte man hundert Schritt weit sehen, und was der junge Ritter sah, ließ ihm fast das Herz erstarren. Breite Ströme von braunschwarzem Wasser ergossen sich über die Felder unterhalb der Mauer. Schon kip p ten die ersten Zelte des Heerlagers. Die Reiterreserve kam auf die Stadt zugaloppiert. Einige Pferde scheuten und warfen ihre Reiter ab. Den Männern, die im Lager zurückgeblieben waren, reichte das Wasser schon bis zu den Hüften.
Der Bischof verpaßte Golo einen Stoß mit dem Ellenbogen. »Wir müssen runter zum Tor. Nur wer es bis in die Stadt schafft, ist vor den Fluten sicher!« Jehan wies auf eine breite Rampe, die auf der Rückseite der Mauer verlief.
Hinter ihnen wurden die Verteidiger langsam von der Mauer zurückgedrängt. Auch unter den Kriegern des Nachtvolks schien Verwirrung zu herrschen.
Jehan schlug eine junge Frau nieder, die sich ihnen auf der Rampe mit einem Speer in der Hand entgegenstellte. Offenbar waren die Sumpfleute entschlossen, ihre Stadt bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen. Ohne auf weiteren Widerstand zu treffen, erreichten sie die schmale Straße, die auf der Rückseite der Mauer verlief. Das Tor war nur noch zwanzig Schritt en t fernt.
Keuchend rannten die beiden am Wall entlang. Golo hatte das Gefühl, sich jeden Schritt abzwingen zu müssen. Fast hatten sie das Tor erreicht, als hinter ihnen Hufschlag ertönte. Der junge Ritter biß sich auf die Lippen und versuchte, noch schneller zu laufen. Es waren nur noch sieben oder acht Schritt bis zum Tor. Zwei breite Querbalken verriegelten die hohe, eichene Pforte.
»Mach du das Tor auf«, rief hinter ihm Jehan. »Ich übernehme den Reiter!«
Ohne sich umzusehen, warf sich Golo gegen die Torflügel. Mit der Schulter stemmte er den ersten Querbalken hoch. Von draußen konnte er Rufe hören. Braunes Wasser sickerte unter dem Tor hindurch. Ein Pfeil streifte klirrend sein Kettenhemd. Dicht neben seinem Hals schlug ein zweites Geschoß ein. Mit ausgestreckten Armen griff der junge Ritter nach dem zweiten Querbalken. Einen Augenblick lang schien es, als wolle sich das schwere Kantholz nicht von der Stelle bewegen. Immer lauter tönte das Geschrei vor dem Tor. Jetzt war auch das Wiehern von Pferden zu hören.
Endlich gab der Querbalken nach, rutschte aus seiner Vera n kerung und schlug krachend zu Boden. Hastig sprang Golo zur Seite. Quietschend schwangen die Torflügel auf, und ein Strom von Flüchtlingen ergoß sich in die Stadt.
18. KAPITEL
nter ihm schloß sich das Tor. Nachdenklich blickte Volker auf die kleine Schar der Überlebenden, die zu den Normannen hi n abstieg. Es waren weniger als zweihundert. Die meisten waren Frauen, Kinder oder alte Männer. Der Anführer der Belagerer hatte ihnen ihr Leben versprochen, wenn sie sich taufen ließen. Sie sollten unter seinen Leibeigenen aufgenommen werden …
Neman hatte den Männern und
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