Nibelungen 04 - Das Nachtvolk
die Plane des Zelts zurückgeschlagen wurde und eine Gestalt mit einer Blendlate r ne eintrat. Bischof Jehan! Der grauhaarige Normanne lächelte spöttisch. »Heute werden wir beide zu Ende bringen, was in einer Schenke begonnen hat. Wenn die Sonne untergeht, werde ich der Herrscher dieser Sumpfstadt sein. Du hast mir einen guten Dienst erwiesen, Golo, und dafür sollst du belohnt sein. Du darfst in der Schlacht heute an meiner Seite kämpfen. Ich lasse zwei meiner Getreuen bei dir. Sie werden dich zu mir bringen, sobald du fertig gerüstet bist. Wenn du dich bei der Erstürmung der Wälle bewährst und mir zeigst, daß das Zeug zu einem richtigen Ritter in dir steckt, dann werde ich dich zum Vogt dieser Stadt machen. In meinem Namen sollst du hier draußen in den Sümpfen herrschen. Ein beachtlicher Aufstieg für einen Pferdeknecht, nicht wahr?«
Golo nickte ergeben. »Ich danke Euch, Herr. Eure Großzügi g keit wird nur noch von Eurem Mut und Eurer Schwertkunst übertroffen.«
Eine steile Falte zeigte sich auf der Stirn des Bischofs. »Mach keine Späße mit mir, Knecht! Ich habe noch zu tun. Beeile dich! In einer Stunde wird der Angriff beginnen. Ich hoffe, daß der Nebel dem Heidenpack unsere Truppenbewegungen verbergen wird und wir dieses Gesindel überraschen.« Jehan wandte sich ab. Einer der Leibwächter des Bischofs schlug die Zeltplane z u rück, und der Normanne verschwand in der Finsternis. Die beiden Söldner, die er zurückgelassen hatte, waren unrasierte Schläger. Offensichtlich hatten sie Gefallen daran, daß man ihnen ansah, daß sie bezahlte Mörder waren. Golo schluckte. Warum hatte der Bischof diese Kerle zu ihm abkommandiert und keinen Ritter? Ob Jehan plante, ihn während des Angriffs ermorden zu lassen? Immerhin war er, Golo, der einzige, der außer dem Bischof wußte, daß er kein Edelknappe, sondern nur ein Bauernsohn war und daß Jehan seinem König eine handfe s te Lügengeschichte vorgetragen hatte, als sie beide den Tod Volkers beklagt hatten.
Golo musterte seine beiden Wächter mißtrauisch. Er sollte aufpassen, daß keiner von diesen Kerlen in seinen Rücken g e langte, wenn die Schlacht erst einmal begonnen hatte.
Verschlafen tastete Volker über den Platz an seiner Seite. Er wollte Nemans Haar zerwühlen, ihren zarten Hals küssen und … Halb benommen richtete er sich auf. Sie war nicht mehr da!
Ein leises Geräusch ließ ihn herumfahren. Schlagartig war er jetzt hellwach. Jemand stand neben dem Tisch. Die Dochte der Öllampen glommen nur noch schwach, und er konnte, die G e stalt nur undeutlich erkennen. Es war eine Frau mit langem Haar. Sie schien seine Beinlinge in Händen zu halten und machte sich an der flachen Wasserschüssel zu schaffen.
»Neman«, flüsterte Volker. »Was machst du dort? Komm in meine Arme zurück … «
Die Gestalt am Tisch drehte sich zu ihm um. »Meine Schwe s ter hat uns verlassen.« Die Stimme der Frau klang zu dunkel! Jetzt konnte Volker ihr Gesicht besser erkennen.
Es war Babd, die Wäscherin! Mit Schrecken dachte der Spie l mann an all die Geschichten, die er über die Unglücksbotin g e hört hatte. Sah ein Krieger sie am Morgen einer Schlacht, so hieß dies, daß er sterben würde.
»Deine Beinlinge sind jetzt sauber, Sänger.« Babd legte die beiden Kleidungsstücke auf den Tisch neben die Schüssel und strich sie glatt. »Es wird ein heißer Tag werden. Die Norma n nen wappnen sich bereits zur Schlacht.«
»Neman, bitte komm zurück … « Volker starrte die Frau ve r zweifelt an. Er hoffte, der Geist der Todesbotin, oder was auch immer in den Leib der Morrigan gefahren war, würde vielleicht von ihr ablassen. Es war grausam, in das so vertraute Gesicht zu sehen und eine gefühllose, kalte Stimme von den Lippen klingen zu hören, die er vor wenigen Stunden erst geküßt hatte.
»Ich muß nun gehen. Wir sehen uns wieder, Sänger.« Volker fröstelte es in dem kühlen, fensterlosen Raum. Die Todesbotin hatte recht. Jeder Krieger des Nachtvolks würde ihr am Ende seines Weges begegnen. Wen sie wohl noch alles besuchen würde?
Der Spielmann erhob sich von seinem Lager und begann sich anzukleiden. Er war ein Christ. Für ihn hatten die düsteren L e genden des Nachtvolks keine Bedeutung, und die Götter des Feenvolkes hatten keine Macht über ihn. Trotzdem unterließ er es, die Beinlinge anzulegen, die die Todesbotin berührt hatte.
Die Krieger hatten Befehl erhalten, keine Fackeln oder Laternen zu entzünden und sich im Schutz des
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