Nibelungen 06 - Die Hexenkönigin
Um seine Schultern lag ein Mantel von dunklem Violett, schimmernd wie ein Stück Sternenhimmel.
»Verzeiht die grobe Behandlung, Prinzessin Kriemhild«, sagte er mit hartem Akzent und gab seinen Männern einen Wink. Augenblicklich ließen sie ihre Arme los und zogen sich zwei Schritte zurück. »Ich bin der Hauptmann dieser Schar und seit zwei Nächten Herr dieser Festung.«
»Ihr kennt meinen Namen«, entgegnete Kriemhild und bemühte sich verzweifelt, gefaßt zu erscheinen, »aber Ihr nennt mir nicht den Euren. Ist er mit Schande haftet, so daß Ihr Euch dafür schämen müßt?«
Ein bedrohliches Funkeln glomm in seinen schwarzen Augen auf, verschwand jedoch innerhalb eines Atemzuges. »Verzeiht noch einmal«, sagte er förmlich und versuchte sich an einer galanten Verbeugung, eine Geste, die es in seiner Kultur nicht gab. »Mein Vater ist der Herrscher des Ostens, der König aller Hunnen. Ich bin Prinz Etzel, sein erstgeborener Sohn.«
Jodokus hatte eigentlich erwartet, während seines Rückweges zum Waldrand auf neue Hindernisse zu stoßen: Stämme, die sich verschoben hatten und den Pfad blockierten, Wurzeln, die nach seinen Beinen griffen und sich wie Schlaufen zusammenzogen, Äste, die in sein Gesicht peitschten. Doch nichts dergleichen zeigte sich.
Sosehr Jodokus sich darüber freute, es nicht gar so beschwerlich zu haben, so sehr bereitete ihm derselbe Umstand auch Sorgen. Denn wenn der Pfad für ihn da war, dann war er es auch für jeden anderen, und das bedeutete, daß Hagen von Tronje ihm früher oder später entgegenkommen würde.
Der Augenblick kam schneller, als er befürchtet hatte, und weder rechts noch links boten sich mögliche Fluchtwege im Dickicht. Die Konfrontation war unvermeidbar.
Wie er selbst führte auch Hagen sein Pferd am Zügel. Jodokus hätte nicht zu sagen vermocht, wer ihm bedrohlicher erschien: das schreckliche Schlachtroß, hoch und breit wie ein Feuerdrache, oder aber der schwarzgerüstete Krieger mit seinem einen Auge, das so dunkel war, daß es ebenso eine leere Höhle hätte sein können. Sehr plötzlich, sehr unbegründet und in keinster Weise der üblen Lage angemessen, spürte Jodokus den brennenden Wunsch, unter die schwarze Binde zu schauen, die Hagens linkes Auge bedeckte. Wenn ihm sein rechtes, das gesunde, schon so bedrohlich erschien, wie mußte dann erst die Wunde aussehen, an welcher der Recke links erblindet war? Ein unschöner Gedanke und eine passende Strafe für soviel Neugier.
Der kleine Junge saß wortlos in Hagens Sattel und musterte Jodokus mit haßerfülltem Blick, der verriet, wie gut er sich an die Nacht und den Pferdediebstahl erinnerte.
»Erschlagt mich nicht, Herr«, bat Jodokus schon von weitem, hatte sich aber zumindest so weit im Griff, daß er nicht auf die Knie fiel. Doch der Sänger mochte sich aufrecht halten wie er wollte – Hagen überragte ihn um mehr als eine Haupteslänge. Jodokus mußte zu ihm aufblicken, als sie in zwei Schritten Entfernung stehenblieben. Selbst, wenn sie gewollt hätten, hätten sie sich nicht aneinander vorbeizwängen können, die Schneise war viel zu eng.
Hagen griff nicht nach seinem Schwert, wie Jodokus angstvoll erwartet hatte. Doch auch das änderte nichts an der bedrohlichen Aura des Kriegers.
»Ich fürchte, ich habe Euren Zorn erregt«, begann Jodokus und faßte den Plan, Hagen durch ein Geständnis besänftigen. »Natürlich wißt Ihr, daß ich der Prinzessin zur Seite stand, als sie sich Euch widersetzte, und ich muß gestehen, ich bin froh, daß es ihr gelang. Denn, das solltet Ihr nicht vergessen, sie ist die Schwester des Königs und ihr Wille ist –«
»Fahre fort mit deinem Geschwätz, Sänger, und ich nagle deine Zunge an den höchsten Baum dieses Waldes.« Hagens Gesicht blieb todernst, selbst als er hinzufügte: »Ohne sie vorher herauszuschneiden!«
Der kleine Junge zeigte ein breites Grinsen, als sei solch eine Maßnahme ganz nach seinem Geschmack.
Jodokus’ Magen wurde zu einem Felsblock, dessen Gewicht ihn zu Boden zu ziehen drohte. »Nun«, meinte er mit schwankender Stimme, »sicher ist Euch danach, mir übel zuzusetzen, und gewiß habt Ihr von Eurer Warte aus allen Grund dazu. Dennoch muß ich –«
»Wo ist sie?«
»Sie ist… Herr, sie ist bei Berenike.« Jodokus schluckte. »Wenigstens sollte sie jeden Moment bei ihr eintreffen.«
Es war, als fiele von oben der Schatten einer Wolke über Hagens Gesicht. Doch der Himmel war klar und von gleißendem Sonnenlicht
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