Nicholas Flame Bd. 1 Der Unsterbliche Alchemyst
Polizei …«
»Ein gutes Argument«, sagte Flamel. »Hinterlasse ihr eine Nachricht, irgendetwas Kurzes – dass du dringend wegmusstest, ein Notfall oder so. Sag, dass ich bei euch bin. Kritzele die Nachricht hin, damit es aussieht, als seist du überstürzt weggegangen. Sind eure Eltern immer noch bei ihren Ausgrabungen in Utah?« Die Eltern der Zwillinge waren Archäologen und arbeiteten zurzeit für die Universität von San Francisco.
Sophie nickte. »Noch mindestens sechs Wochen.« »Wir wohnen immer noch bei Tante Agnes in Pacific Hights«, fügte Josh hinzu. »Tante Getue.«
»Wir können nicht einfach so verschwinden. Sie wartet mit dem Abendessen auf uns«, sagte Sophie. »Wenn wir auch nur fünf Minuten zu spät kommen, regt sie sich fürchterlich auf. Als letzte Woche die Straßenbahn einfach stehen blieb und wir eine Stunde später heimkamen, hatte sie schon unsere Eltern angerufen.«
Tante Agnes war 48 Jahre alt, und auch wenn sie die Zwillinge in den Wahnsinn trieb mit ihrem Getue, mochten sie sie sehr.
»Dann müsst ihr euch auch für sie eine Ausrede einfallen lassen«, bestimmte Flamel rigoros und marschierte in das Café, dicht gefolgt von Sophie.
Josh tauchte nicht sofort in das kühle, süßlich duftende Halbdunkel der »Kaffeetasse« ein. Er stand noch auf dem Bürgersteig, seinen Rucksack über einer Schulter, und sah die Straße hinauf und hinunter. Von den glitzernden Scherben vor der Buchhandlung einmal abgesehen, sah alles völlig normal aus, ein gewöhnlicher Wochentag. Alles war ruhig und still und in der Luft lag ein Hauch von Ozean. Auf der anderen Seite der Bucht, gegenüber von Fisherman’s Wharf, ertönte eine Schiffssirene. Der tiefe Ton aus der Ferne klang irgendwie verloren. Alles war mehr oder weniger genauso wie vor einer halben Stunde auch.
Und doch …
Und doch war es nicht mehr dasselbe. Es konnte nie mehr dasselbe sein. In der vergangenen halben Stunde hatte Joshs geordnete Welt sich unwiderruflich verändert. Er war ein ganz gewöhnlicher Schüler; seine Noten in der Highschool waren nicht unbedingt herausragend, aber auch nicht schlecht. Er spielte Fußball, sang – schlecht – in der Band eines Freundes. Es gab ein paar Mädchen, für die er sich interessierte, aber eine richtige Freundin hatte er noch nicht. Er machte das eine oder andere Computerspiel, wobei er Ego-Shooter wie »Quake« und »Doom« und »Unreal Tournament« bevorzugte, schaffte kein einziges Rennspiel, und bei »Myst« verirrte er sich. Er liebte die Simpsons und konnte ganze Passagen auswendig hersagen, mochte auch Shrek sehr, obwohl er das nie zugeben würde, hielt den neuen Batman für ganz okay und X-Men für wirklich cool. Josh war ein ganz gewöhnlicher Junge.
Aber gewöhnliche Teenager waren nicht plötzlich in einen Kampf zwischen steinalten Magiern verstrickt.
Es gab keine Magie auf dieser Welt. Magie – das waren Spezialeffekte im Film. Magie – das waren Bühnenshows mit Kaninchen und Tauben und einem Zauberer, der Leute zersägte oder über dem Publikum schwebte. Wirkliche Magie gab es nicht.
Aber wie ließ sich dann das, was gerade in der Buchhandlung passiert war, erklären? Er hatte gesehen, wie Regale innerhalb von Sekunden vermoderten und in sich zusammenfielen, hatte gesehen, wie Bücher sich in Papierbrei auflösten, hatte den Gestank von faulen Eiern gerochen, der von Dees Zauber ausging, und das frische Aroma von Pfefferminze, das Flemings – Flamels – Magie verströmte.
Josh Newman fröstelte trotz der warmen Nachmittagssonne. Er betrat das Café, öffnete seinen Rucksack und zog seinen verschrammten Laptop heraus. Er musste noch kurz den Internetanschluss im Café nutzen; es gab da ein paar Namen, die er überprüfen wollte: Dr. John Dee, Perenelle und vor allem Nicholas Flamel.
Sophie kritzelte rasch eine Nachricht auf eine Serviette und kaute dann auf dem Bleistiftende herum, als sie das Geschriebene noch einmal durchlas.
Buchhandlung hatte Leck in der Gasleitung. Begleite Mrs Fleming ins Krankenhaus. Mr Fleming kommt mit. Sonst alles OK. Rufe später an.
Wenn Bernice am späten Nachmittag kurz vor dem zweiten großen Ansturm zurückkam und feststellte, dass das Café geschlossen war, war sie bestimmt nicht glücklich. Sophie musste damit rechnen, dass sie möglicherweise sogar ihren Job verlor. Sie seufzte und setzte dann ihre Unterschrift so schwungvoll unter die Nachricht, dass das Papier riss. Danach steckte sie die Serviette an
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