Nicht lecker, aber Weltrekord
knallte die Autotür vor meiner Nase zu.
Meine Mutter war schon längst im Gartencenter und suchte die Rosenbüsche aus, die meine Schwester gerne haben will. Grundsätzlich darf meine Schwester in ihrem Garten zwar anpflanzen, was sie will, aber meine Mutter meint, Rosenbüsche wären sehr schön. Und da sie diejenige ist, die bezahlt, reicht es vollkommen aus, dass sie nur meint und meiner Schwester nicht vorschreibt, was sie anpflanzen soll.
Aus dem Seitenfenster sehe ich, dass meine Schwester zu erschöpft ist, um gegen die Blumenwahl aufzubegehren. Um »Nein!« zu sagen, hat sie sich ja einen Hund zugelegt. Fein.
Ich lasse den Blick schweifen und stelle fest, dass ich mit hinein gedurft hätte. Da ist noch ein Schild, an der Eingangstür, auf dem steht: »Wuffis welcome!«, daneben eine Schüssel mit Wasser und ein Quietscheknochen.Das hätte mich schon interessiert oder wenigstens abgelenkt. In Dollerup wäre wohl jeder gerne Hund. Für die läuft es hier besser als zum Beispiel für etwas andere Computerfachmänner. Hunde dürfen hier alles und füllen gleichzeitig eine wichtige Position in der Gesellschaft aus. Heute beim Frühstück hat meine Schwester von den Nachbarn erzählt. Sie sind vielseitig interessiert, wie es scheint.
»Da wohnen die mit dem Rottweiler, der ist aber lieb. Und die auf der anderen Seite haben so einen Mischling, aber der ist schon alt.«
Als mein Vater nachfragte, ob Familie Mischling nicht auch ein etwa fünfzehn Meter langes Motorboot hätte, welches er glaubte bei unserer Ankunft in deren Einfahrt erspäht zu haben, mumpfte meine Schwester störrisch: »Was weiß ich denn? Der Hund heißt jedenfalls Bucky.«
So ist Dollerup, und genauso habe ich es mir vorgestellt. Meine Mutter ebenfalls, aber sie steht auf Katastrophentourismus, deswegen wollte sie hin. Mein Vater sowieso, also bin auch ich mitgefahren, weil ich messerscharf kombinierte: Wenn meine Eltern in Dollerup sind, können sie nicht gleichzeitig mich in Köln besuchen, und wenn ich mit ihnen komme, müssen sie mich auch innerhalb des nächsten halben Jahres nicht besuchen, denn sie haben mich ja schon gesehen. Bingo!
Sieht man sich mal so im Tierreich um, wird man feststellen, dass Verwandtenbesuch dort vollkommen unnatürlich ist. Bei den Füchsen und Bären, da werden die Jungen rausgeschmissen, sobald sie das grobe Überleben gelernt haben. Eigenes Revier suchen, undgut ist. Tschüssi, schöne Balz dann noch! Da wird auch nicht erwartet, dass die Kleinen zu Weihnachten mit der Dreckswäsche und einem Burn-Out-Syndrom anschlonzen. Nur Lachse sind doof genug, noch mal die Wiege ihrer Kindheit aufzusuchen. Die denken sich wahrscheinlich noch so ganz naiv: »Boah, ey, die Stromschnellen flussaufwärts hoch, da habe ich aber ganz schön geackert, ordentlich Überstunden gemacht, da kommt sicher gleich das Paradies.«
Nö, da kommt ein hungriger Grizzly, du Depp.
Lachse, das sind doch dieselben Leute, die es für eine gute Idee halten, die Einliegerwohnung ihres Elternhauses in Gummersbach auszubauen, damit man nah beieinander ist, falls mal etwas passiert. Nur passiert dann nichts mehr, nicht einmal die große, gnädige Bärentatze erscheint.
Und umgekehrt machen sich in der Natur auch die Elterntiere keine Gedanken um ihren nicht mehr zu Hause wohnenden Nachwuchs. Kein Schwein denkt: »Da gehe ich doch mal schauen, was die Ferkel vom letzten Jahr so treiben. Ich bringe auch was zum Rumsauen mit, vielleicht vier Kubikliter Rindenmulch und eine Wagenladung kreativer Verbesserungsvorschläge für die Suhle.«
Nicht, dass man mich missversteht: Ich liebe meine Familie. Ich bin sehr gern das Kind meiner Eltern, aber für den restlichen Tag wäre ich doch lieber der Dalmatiner meiner Schwester. Aber ich bin es eben nicht, wie ich ein weiteres Mal erfahren muss.
»Ach, du bist das. Sag das doch«, begrüßt meine Mutter mich leicht verärgert und wirft mir zwei Rosensträucherauf den Schoß. Der eine blüht weiß, der andere rot. Meine Schwester hatte vor unserer Exkursion angedeutet, sie hätte gerne rosafarbene Rosen.
»Du kannst sie ja dicht zusammenstellen und dir einen ansaufen«, flüstere ich ihr zu, als sich meine Schwester neben mich auf den Fahrersitz fallen lässt.
Sie nickt kichernd, und ich beginne, mir Sorgen um sie zu machen. Meine Schwester hat seit 1992 keinen Tropfen Alkohol getrunken.
Sie ist ein starker Mensch. Todesmutig steuert sie Gartencenter Nummer fünf an, während unsere Mutter von der
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