Nicht so laut vor Jericho
Gespräch wurde Stockler krank, und etwas später starb er. Ich erhielt die traurige Nachricht durch einen Brief seiner Witwe. Sie berichtete, daß ihr verstorbener Mann noch auf dem Totenbett an mich gedacht und immer wieder von den großen Plänen gesprochen hätte, die er mit mir und nur mit mir verwirklichen wollte.
Gestern nacht, zu ungewohnter Stunde, ging mein Telefon. Ein Fernruf. Es war Stockler.
»Ich habe jetzt etwas mehr freie Zeit«, sagte er mit Grabesstimme. »Und ich möchte Ihnen einen sehr interessanten Vorschlag machen.«
»Ausgezeichnet«, antwortete ich. »Rufen Sie mich bald einmal an.«
Die vier apokalyptischen Fahrer
Während der zwei Jahrtausende des Exils und der Verfolgung haben die Juden sich in einen intellektuellen Elfenbeinturm eingeschlossen und ihre körperliche Ertüchtigung arg vernachlässigt. Unser wiedererstandenes Heimatland hat uns endlich wieder einen simplen, kräftigen, erdnahen Menschentyp geschenkt. Und dieses Geschenk müssen wir teuer bezahlen.
Wann schläft der Mensch am besten? Nach den neuesten wissenschaftlichen Forschungen bis 5.25 Uhr am Morgen. Um 5.25 Uhr am Morgen fährt der Durchschnittsbürger aus dem besten Schlafe hoch. Der höllische Lärm, der über ihn hereinbricht, weist eine vielfältige Zusammensetzung auf und läßt sich am ehesten mit dem Klangbild mehrerer Tonbänder vergleichen, die zur selben Zeit verkehrt abgespielt werden. Es klingt nach Fliegeralarm, nach einer stampfenden Büffelherde, nach einem Sturmangriff mit schweren Panzern und nach dem Dschungelschrei eines wildgewordenen Tarzans.
Um 5.25 Uhr am Morgen.
Die Reaktion der Menschen, die von dieser Naturkatastrophe betroffen werden, ist unterschiedlich. Manche vergraben sich in ihre Kissen und beginnen zu beten. Andere – zumeist diejenigen, die vor Schreck aus dem Bett gefallen sind – sausen ziellos zwischen Schlafzimmer und Badezimmer hin und her. Schreiber dieses wirft sich bei den ersten Donnerschlägen wortlos auf seine neben ihm schlummernde Gattin und würgt sie so lange, bis es ihr gelingt, die Nachttischlampe anzuknipsen und ihm vorsichtig beizubringen, daß ihn niemand ermorden will. »Wie um des Himmels willen ist es möglich«, fragte mein Nachbar Felix Seelig, als er sich einmal um 5.25 Uhr am Morgen aus dem Fenster beugte, »daß vier Männer einen so ungeheuerlichen Krach erzeugen?«
Wir beobachteten die Vier von oben. Es handelte sich um den Fahrer des städtischen Müllabfuhrwagens, um seinen Mitfahrer, der meistens auf dem Trittbrett steht, und um die beiden Kerle, die sich der wartenden Koloniakübel bemächtigen und sie mit Getöse ausleeren. Auf den ersten Blick sehen diese Vier wie einfache Sendboten des Gesundheitsamtes aus, aber hinter ihrem unauffälligen Äußeren verbergen sich vier Weltmeister der Höllenlärm-Technik. Zum Beispiel benützt der Fahrer grundsätzlich nur den ersten Gang, um seinen Motor auf höchste Diesellautstärke zu bringen, während die beiden Zubringer jeden einzelnen Koloniakübel polternd über das Pflaster schleifen und dabei so laut und lästerlich fluchen, als stünde der Ausbruch von Tätlichkeiten unmittelbar bevor.
In Wahrheit haben sie keinerlei Streit miteinander. Hört man mit den Restbeständen von Membranen, über die man noch verfügt, etwas genauer hin, so kann man feststellen, daß sie sich auf ihre Weise über ganz alltägliche Dinge unterhalten. Diese ihre Weise besteht darin, daß die Unterhaltung grundsätzlich immer dann beginnt, wenn der eine von ihnen mit dem schon entleerten Koloniakübel im Hausflur angelangt ist und der andre in 20–30 Meter Entfernung seinen noch gefüllten Kübel auf die Kippe niederkrachen läßt.
»Hey!« brüllt der eine. »Hey! Was hast du gestern abend gemacht, gestern abend?«
Darauf antwortet jedoch nicht der andre, sondern der Fahrer steckt den Kopf aus seinem Gehäuse hervor, legt die Hände an den Mund und brüllt:
»Hey! Wir sind zu Hause geblieben! Zu Hause! Und du?« Jetzt erst ist es so weit, daß der ursprünglich Angesprochene oder besser Angebrüllte zurückbrüllt:
»Hey! Wir waren im Kino! Im Kino waren wir! Bei diesem Wildwestfilm! Großartig! Alle haben sehr gut gespielt haben alle!«
Auch wenn die Dialogpartner dicht nebeneinander stehen, ändert sich nichts an der Lautstärke ihres Geplauders:
»Hey! Kommen dir diese verdammten Kübel heute nicht verdammt schwer vor?«
»Verdammt schwer heute! Wo es noch dazu so verdammt heiß ist!
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