Nicht Totzukriegen
sehr clever. Wie nennst du ihn immer?
Häkelmütze
.«
55
Vielleicht ist der Frauenknast eine Art Testlauf für die Welt ohne Männer, von der Maryam damals beim Shoppen phantasiert hatte; und ich darf schon mal üben, wie sich das anfühlt, wenn die Sache mit dem Y-Chromosom sich eines fernen Tages tatsächlich erledigt haben sollte.
Nach meinem ersten Eindruck ändert sich nicht viel, wenn wir Frauen unter uns sind: Nelly schnarcht, dass die Wände wackeln, Peggy knirscht markerschütternd mit den Zähnen, und den Mief in der Zelle könnte man mit dem Messer schneiden, nicht nur Männer furzen nachts. Als hätte ich nicht so schon genug Probleme, einzuschlafen.
Nein, eine Welt ohne Männer wäre nicht besser, es lägen nur weniger gebrauchte Socken rum. Ein paar von uns Frauen wären vielleicht unordentlich oder schlampig, aber sonst? Alles wäre hübsch, niedlich und geschmackvoll dekoriert, dazu noch – kein Sex. Da kann man doch gleich in die Schweiz ziehen. Deshalb: Rettet das Y-Chromosom!
Niemand da, der mich umarmt! Ich liege allein oben in meinem Bett. Trotzdem: Vielleicht ist es ganz gut, dass ich gerade nicht in unserem leeren Haus sein muss, ich würde dort wahnsinnig werden. Ich kann mir nicht – noch nicht – vorstellen, ohne Tom weiter darin zu leben, und überhaupt kann ich mir nicht vorstellen, ohne Tom weiterzuleben – nicht mehr.
Schratt-schratt!
Schwester Peggy pulverisiert wieder ihre Backenzähne. Vielleicht wäre es doch nicht so schlimm, in unserem Haus zu übernachten, allemal besser als Zähneknirschen. Ein Königreich für eine Beißschiene!
Meine Gedanken sind bei Tom. Ich würde alles tun, um ihn zurückzubekommen. Unglücklicherweise liegt er irgendwo im Wald tot auf dem Grund eines Sees, den ich ohne Maryams Hilfe niemals wiederfinden würde.
Und wenn es doch einen Weg gäbe? Aber dagegen sprechen so ziemlich alle Errungenschaften der abendländischen Zivilisation: Wissenschaft, Vernunft, Aufklärung,
Die Sendung mit der Maus
… Interessiert mich nicht, es geht um meinen Mann! Was, wenn es nicht unmöglich wäre, ihn zurückzubekommen? Bei meinen Morden hat es doch seltsamerweise immer geklappt. Irgendwie.
Wenn ich ihn ermordet habe, kehrt er zurück, sonst nicht. Wenn sich ein Schuss löst, unglücklicherweise, gibt’s keine Wiederauferstehung. Hm, ist das das Prinzip? Dann besteht vielleicht doch eine Chance: Wenn ich die Mörderin bin!
Schratt-schratt!
Und Nelly dreh ich gleich auch den Hals um!
56
Maryam erwartet mich vor dem Gerichtssaal, und sie versucht, mir Mut zu machen.
»Sieht gut aus«, sagt sie, »was sollen sie machen ohne Leiche? Du bist bald wieder zu Hause.«
»Weiß nicht, ob das so toll ist.«
Sie guckt mich erstaunt an: »Wär dir der Knast etwa lieber?«
»Geht so. Gibt’s auch Zellen, in denen nachts niemand mit den Zähnen knirscht?«
Wir werden in den Gerichtssaal gebeten, einen alten, Respekt einflößenden Raum mit hohen Wänden und mit Fenstern, die erst in zwei Metern Höhe beginnen. In einer Wandnische über dem Richterplatz thront die Statue der Justitia, der Göttin der Gerechtigkeit. Ich nehme mit Maryam auf der Anklagebank Platz, mir werden sogar die Handschellen abgenommen, uns gegenüber sitzt, wie von Maryam angekündigt, die Häkelmütze. Ich prüfe, ob zwischen den beiden irgendwas läuft, ob es schon knistert, doch als wäre dies für sie ein Prozess wie jeder andere, würdigen sie sich keines Blickes. Sie ziehen ihre Nummer wirklich konsequent durch – wow!
Die Richterin, eine herbe, spröde wirkende Frau, vielleicht fünf oder zehn Jahre älter als ich, betritt den Saal. Alle stehen auf. Jetzt gilt’s.
Aber kann ein blödes Gerichtsurteil ausreichen, damit ich Tom wieder in den Armen halten darf, oder hat der Zellenmief gestern Nacht mir endgültig das Hirn vernebelt? Shit, was habe ich für Alternativen? Nichts tun und mich mein Leben lang mit Selbstvorwürfen quälen, Toms Tod akzeptieren? Auf gar keinen Fall! Vielleicht bin ich verrückt, aber … ich hab so ein Gefühl, es könnte funktionieren.
Alle anderen setzen sich, ich bleibe stehen.
»Darf ich was sagen?«, bitte ich, und bevor die Richterin etwas erwidern kann, verkünde ich: »Ich bin schuldig.«
»Hast du sie noch alle?«, zischt Maryam neben mir, »sei still!«
Die Richterin schaut streng über ihre Lesebrille: »Verehrte Angeklagte, so weit sind wir noch gar nicht«, weist sie mich zurecht. »Dürfte ich erst das Verfahren
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