Nicht Totzukriegen
ungebremst knallt er mit dem Gesicht voran auf den Boden. Ja, es gibt doch noch Gerechtigkeit.
Maryam kommt erstaunlich schnell wieder zu sich und findet sich zu ihrer eigenen Verwunderung in den Armen ihres Staatsanwalts wieder. Sie wehrt sich gegen die Umarmung, na ja, so ein bisschen wenigstens. Beide schauen hilflos zur Richterin, als könnten sie von ihr ein Urteil erwarten, wie sie sich zu verhalten haben: Sollen sie sich küssen?
Doch die meint nur genervt: »Jetzt stellen Sie sich nicht so an. Das ganze Gericht weiß, dass Sie was miteinander haben!«
Ja, und ich? Ich schreie mein Glück heraus, was denn sonst. Alle Sicherheitsbeamten zusammen könnten mich nicht daran hindern, Tom, meinen geliebten Mann, anzuspringen, ihn zu umarmen und mich an ihn zu klammern, als wollte ich ihn nie wieder loslassen. Ach, was heißt hier »wollte« …!
57
Endlich wieder Freiheit! Endlich wieder das
Dante
! Endlich wieder eine ganz normale, verheiratete Frau sein, die sich mit ihrer besten Freundin trifft. Ich umarme Maryam; auf den Shoppingteil verzichten wir dieses Mal: Es gibt so viel zu bereden!
»Schöne Grüße von der Staatsanwaltschaft. Das Verfahren ist eingestellt.«
Das ist eine wunderbare Nachricht, mir drohten nämlich noch diverse Anklagen wegen Missachtung des Gerichts, Irreführung der Justiz, uneidlicher Falschaussage, Vortäuschung einer Straftat und so weiter; ich bin heilfroh, dass alles vorbei ist.
»Echt? Super!«, bedanke ich mich, und bei der Gelegenheit erfahre ich endlich auch Häkelmützes bürgerlichen Namen.
»Ja, Moritz meint, du wärst genug gestraft mit deiner Anwältin.«
»Ha ha. Wo er recht hat …!«
Maryam seufzt bedauernd: »Böser Junge, was erlaubt er sich? Ich fürchte, ich werde ihn dafür züchtigen müssen.«
»Bitte keine Details! Ihr seid jetzt offiziell zusammen?«
»Na, nicht gleich übertreiben! Aber wir duzen uns mittlerweile, ist doch schon mal was. Wie geht’s Tom?«
»Ganz gut, aber immer noch ein bisschen durch den Wind. Er meinte, er wär auf Dienstreise gewesen. Aber ihm fehlen ein, zwei Tage in der Erinnerung.«
»Wie hat er überhaupt in den Gerichtssaal gefunden?«
»Er hat bei Niemeyers nebenan geklingelt und gefragt. Frau Niemeyer ist natürlich gleich in Ohmacht gefallen, als sie ihn gesehen hat.«
»Ah, die auch …«
»Ja, die auch.«
»Wie hat die Hindupriesterin es verkraftet?«
»Sie haben sich beide in ihrem Haus eingeschlossen, die Rollläden sind unten, und manchmal schreien sie sich gegenseitig an. Gestern hat Herr Niemeyer alle Cannabis-Pflanzen zertreten.«
»O je! Geh mal zu ihnen rüber mit was Gutem zu rauchen.«
»Ja, mal sehen. Ein bisschen lass ich sie noch leiden.«
Maryam greift nach der Getränkekarte.
»Tom sah völlig normal aus, er hatte nicht mal Algen im Haar.«
»Ja, nicht ein Härchen gekrümmt! So war das immer.«
»Und das wirklich fünfmal …? Es ist so unglaublich, ich versteh’s immer noch nicht. Wie kann das sein?«
Wenn ich darauf eine Antwort wüsste. Aber ich habe mich inzwischen damit abgefunden, was bleibt mir auch anderes übrig. Wie heißt es so schön: Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde …
»Aber Maryam, wie erklären wir
all das
unseren Kerlen? Tom weiß immer noch nicht, warum ich verhaftet worden bin, er versteht nicht, wieso Frau Niemeyer sich plötzlich vor uns versteckt, und er fragt sich, was der ganze Prozess sollte, wenn er doch gar nicht tot war.«
»Ich hab’s probiert«, gesteht Maryam, »ich habe noch im Gericht Moritz erzählt, was in der Nacht passiert ist.«
»Und?«
»Er meinte, wenn ich weiter so einen Blödsinn erzähle, riskiere ich meine Zulassung.«
»Das ist das Problem: Uns wird keiner glauben.«
»Uns wird keiner glauben«, wiederholt Maryam.
»Aber wir müssen es ihnen sagen.«
»Das müssen wir«, bekräftigt sie.
Maryam winkt den Kellner herbei. »Was nimmst du?«, fragt sie und bestellt wie immer einen Prosecco.
»Einen Grappa, bitte. Doppelt.«
58
Johannes balanciert zwei Cappuccinos in sein Büro, und während er die Tassen vorsichtig auf den Tisch stellt, informiert er mich, was sich während meiner Abwesenheit in der Agentur getan hat: Yvonne ist weg, und mein Chef meint tatsächlich, sich dafür rechtfertigen zu müssen.
»Sie hat von einem Tag auf den anderen gekündigt, ohne jeden Grund. Ich habe sie in Ruhe gelassen, ehrlich!«
Schlimm genug, dass er es nötig hat, so etwas extra zu betonen. Allerdings wirkt er tatsächlich
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