Nichts als Knochen
führt wat im Schilde, ich spür et.«
»Von wat für 'nem falschen Mönch quatschst du denn da?« Gerhards Stimme hatte einen genervten Unterton.
»Na, der falsche Mönch us'm Dom. Hat da rumspioniert. Den Priester könnt der vielleicht auf'n Leim führen, aber mich nit!«
»Verdammt noch mal, wat erzählst du da eijentlich widder für 'ne Scheiße? Wieso soll der Mönch denn falsch jewesen sein?«
»Ich hab's jesehn, an seinen Augen hab ich's jesehn. Dat war kein Mönch, dat war der Satan.«
»Mensch, jetzt hör endlich auf, uns mit deinen Spinnereien vollzulabern«, mischte sich der dicke Paul lautstark ein. »Jeden Tag dieselben scheiß Gruselgeschichten, ich kann's nicht mehr hören, das kotzt mich an!«
»Ach, ihr habt doch alle keine Ahnung!«, schrie Bruno jetzt wütend, »ihr seid doch einfach viel zu blöde! Verstehste? Ihr habt doch nix als Scheiße in der Birne!«
»Jetzt mach aber, dat du wegkomms«, sagte Gerhard drohend, »sonst hau ich dir eins op de Nuss, dat du denks, der Dom wör en Frittebuud!«
Fluchend griff Bruno nach seinen Plastiktüten und machte sich davon, während er noch eine Weile von wüsten Beschimpfungen begleitet wurde. Er musste sich einen anderen Schlafplatz suchen, am besten drüben in Deutz, da war es ruhiger. Schlurfend machte er sich auf den Weg zur Hohenzollernbrücke. Als er sie erreicht hatte, sah er kurz zu dem Reiterdenkmal hoch und dann dem Zug hinterher, der an ihm vorbei und anschließend rumpelnd über die Brücke fuhr. Während er weiterging, sah er hoch zu den Sternen und dachte an sein Erlebnis im Dom. Wer war dieser falsche Mönch, und warum hatte er sich verkleidet? Warum hatte er heimlich Fotos gemacht? Und überhaupt die Art und Weise, wie er den Priester ausgefragt hatte. Wie eine lauernde Raubkatze! Was, zum Teufel, hatte er vor?
Als Bruno unter dem mittleren Rundbogen der Eisenbahnbrücke angelangt war, blieb er stehen, beugte sich über das Geländer und blickte den Rhein hinauf, einem davonfahrenden Lastkahn hinterher. Die Brücke war menschenleer, und da gerade auch kein Zug vorbeifuhr, war hier oben über dem Rhein für einige Augenblicke eine Oase der Stille. Tief sog er die Nachtluft durch die Nase ein und ließ seine Gedanken schweifen, bis sie nach einiger Zeit wieder bei dem unheimlichen Mönch im Dom angelangt waren.
»Warum haben Sie hinter mir herspioniert?«
Die Stimme hinter Bruno war leise, aber eiskalt, und sie traf ihn unerwartet. Er wirbelte herum, so schnell er konnte. Ein stechender Schmerz in seiner Brust ließ ihn unwillkürlich an sein Herz greifen. Die Gestalt vor ihm sah noch viel dunkler und bedrohlicher aus als im Dom. Sie glich jetzt eher einem Gespenst als einem Mönch. Bruno stolperte keuchend rückwärts am Geländer entlang.
»Weiche zurück, Satan«, ächzte er, doch der Mönch kam näher. Brunos Herz flatterte wie ein Schmetterling. Schweißtropfen standen auf seiner Stirn, und er merkte, dass ihm schwindlig wurde. Alles begann, sich zu drehen. Nur mit Mühe konnte er seinen Blick auf den Mönch fokussieren, der jetzt direkt vor ihm stand und den Arm ausstreckte. Lange, bleiche Finger griffen nach ihm wie der Tod, der bereits in Brunos Brust saß und immer wieder schmerzhaft die Krallen in sein Herz schlug. Als die Hand des Mönchs sich im Stoff seiner Jacke festkrallte, schrie Bruno entsetzt auf und versuchte, sich loszureißen. Seine linke Hand ließ die Tüten fallen, und er zerrte ungeschickt an der Kutte seines Angreifers. Aber der falsche Mönch hatte sich an seinem Jackenkragen festgeklammert und ließ ihn nicht los. Er musste diesem schwarzen Teufel irgendwie entkommen! Verzweifelt nahm er alle Kraft zusammen, die ihm geblieben war, und stemmte sich dem eisernen Griff des Mönchs entgegen. Gleichzeitig schlug er mit den Fäusten auf den Mann ein. Die Tüten, die er dabei immer noch in der rechten Hand hielt, sausten wie Dreschflegel auf Darios Arm nieder, den er schützend vor den Kopf gehoben hatte.
Der junge Mönch schnaubte unwillig und ließ die Jacke des Obdachlosen los. Im selben Augenblick versuchte Bruno nochmals, sich mit einer halben Drehung loszureißen. Als der Mönch gleichzeitig seinen Griff löste, stürzte der alte Mann in einer Drehbewegung in Richtung Rhein und prallte mit dem Bauch heftig gegen das Brückengeländer. Ihm wurde schwarz vor Augen. Seine Tüten, die gerade noch seinen Angreifer getroffen hatten, sausten nun ungebremst abwärts durch die Luft und rissen kräftig an seinem
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