Nichts bleibt verborgen
25
Franziska fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen. Da hatte sie mit Alexander erst vor wenigen Tagen einen wunderschönen Nachmittag verbracht, war mit ihm – nur mit ihm! – stundenlang lang durch die Stadt gestreift, um Weihnachtseinkäufe zu erledigen, und jetzt ließ er sie auf dem Schulhof einfach stehen, als wäre sie nicht mehr als eine x-beliebige Bekanntschaft. Um sich wem zuzuwenden? Das war das Schlimmste!
Die Sache mit den Weihnachsteinkäufen war ihr Vorschlag gewesen, auf den Alexander mit einem »Warum nicht?« reagiert hatte. Da Franziska schon länger den Verdacht hatte, dass Alexander dazu neigte, seine wahren Gefühle hinter einer freundlich diplomatischen Fassade zu verbergen, hatte sie die Antwort mit »Ja, gern!« übersetzt. Ihn von seinen Freunden loszueisen, war leichter gewesen als erwartet. Sie hatte einfach die richtige Gelegenheit abgepasst, um ihn rasch mit sich fortzuziehen und in die nächste Straßenbahn zu bugsieren, die just in diesem Moment ihre Türen geöffnet hatte. Und nur Sekunden später waren sie gemeinsam in Richtung Innenstadt gezuckelt.
Dort waren sie gemütlich durch die weihnachtlich dekorierten Straßen geschlendert, während dicke Schneeflocken vom Himmel segelten und sich in ihren Haaren verfingen. Franziska war sich fast wie in einem dieser kitschigen Weihnachtsfilme vorgekommen, die derzeit ständig im Fernsehen liefen. In einem Schaufenster zeigte sie ihm einen wunderschönen Schlüsselanhänger, der aus kleinen silbernen Elchen bestand. Den hätte sie sich zu gern selbst gekauft, doch daraus wurde leider nichts. Sie stellten nämlich rasch fest, dass sie beide kein Geld dabeihatten, worüber sie ausgiebig lachen mussten. Alexander sagte schmunzelnd, dass sie bestimmt die einzigen Menschen in ganz Oslo waren, die mit leeren Taschen zum großen Weihnachtsshopping aufbrachen. Nichtsdestoweniger sahen sie sich schon einmal um, was für ihre Familienmitglieder denn infrage käme. Da Franziska für ihre Mutter an Mütze und Handschuhe dachte, stellte sich Alexander spontan als Mützenmodel zur Verfügung, setzte sich verschiedene Modelle auf den Kopf und schnitt dazu lustige Grimassen. Danach stöberten sie in der Kochbuchabteilung eines Kaufhauses, weil er meinte, dass sich seine Mutter in Erinnerung an ihren Sizilienaufenthalt über italienische Rezepte bestimmt sehr freuen würde.
Gegen Abend war es empfindlich kalt geworden. Und da sie ja kein Geld bei sich hatten, um ihre Hände an einer Tasse Kakao zu wärmen, hatte Alexander ihre Hände kurzerhand in seine genommen und sie warm gerieben.
Daran musste Franziska jetzt denken, was nichts Besonderes war, weil sie seit diesem Moment quasi an nichts anderes gedacht hatte: wie sich seine Hände, die überraschend warm und weich gewesen waren, um ihre geschlossen hatten.
Und jetzt ließ er sie auf dem Schulhof stehen, um sich wem zuzuwenden? Magnus! Franziska verstand die Welt nicht mehr.
★ ★ ★
»Und dein Vater hat alle Kopien einfach einkassiert?« Magnus schaute ihn geschockt an. »Ach, du Scheiße!«
»Ja, tut mir leid«, entgegnete Alexander mit betretener Miene »Dabei hab ich die echt nur ganz kurz auf meinem Schreibtisch liegen lassen.«
»Der wird doch wohl nicht …?« Magnus’ Augen weiteten sich erschrocken.
»Kontakt zu deinem Vater aufnehmen? Nein, da kannst du ganz beruhigt sein. Ich musste ihm allerdings hoch und heilig versprechen, dass ich nicht mehr auf eigene Faust ermittle.«
»Glaubt er denn immer noch, dass ich den Schuppen in Brand gesteckt habe?«
Alexander zuckte die Schultern. »Was er glaubt, spielt doch eigentlich keine Rolle«, entgegnete er ausweichend. »Entscheidend ist einzig und allein, dass man dem Täter seine Schuld auch nachweisen kann. Neulich hat er zu mir gesagt, dass die meisten Brandstiftungen nie aufgeklärt werden. Vielleicht wächst irgendwann einfach Gras über die Sache.«
»Soll mir recht sein«, brummte Magnus.
»Hat dein Vater eigentlich noch was zu dir gesagt, nachdem er von eurer Hütte zurückgekommen ist?«, wollte Alexander wissen.
»Nee, nicht ein einziges Wort.«
»Ist das nicht seltsam?«
Magnus schüttelte den Kopf. »Der redet eh kaum mit mir.«
Alexander warf ihm einen forschenden Blick zu. »Sagt dir der Name Enger eigentlich was? Karl Enger?«
Magnus stutzte. »Das war doch der Typ, der damals meinen Vater betrogen hat.«
»Stimmt genau. Aber weißt du sonst noch irgendwas über ihn?«
»Ich weiß nur, dass er irgendwann
Weitere Kostenlose Bücher