0888 - Angriff auf die Vampirstadt
Schweißgebadet fuhr Zamorra hoch. Er brauchte ein paar Sekunden, um sich zu orientieren. Er befand sich in seinem Schlafzimmer im Château Montagne. Die Sonne stand schon hoch am Himmel und fiel durch die offenen Vorhänge auf das zerwühlte Bett. Neben ihm lag Nicole und schlief friedlich. Es war spät geworden - vor allem, nachdem sie ins Bett gegangen waren.
Tsa Mo Ra! Beklommen erinnerte sich der Parapsychologe an die Einzelheiten seines Traums. Doch nein, korrigierte er sich schnell, das war kein normaler Traum gewesen. Zu real hatte seine Begegnung mit seinem geheimnisvollen Doppelgänger gewirkt. Er glaubte immer noch, das schwere Aroma exotischer Kräuter in seiner Nase zu spüren.
Zamorra hatte gehofft, das Kapitel Tsa Mo Ra sei ein für allemal abgeschlossen, aber seine Vergangenheit ließ ihn offenbar nicht los. Den alten Schriften zufolge war Tsa Mo Ra einst dritter Hofzauberer in Choquai gewesen, der goldenen Stadt der Vampire. Das legendäre Reich des chinesischen Götterdämons Kuang-shi hatte am Oberlauf des Yangtze existiert, bis es vor 2000 Jahren bei einem Aufstand völlig zerstört worden war. Der Götterdämon konnte nicht getötet werden, aber er fiel in einen tiefen Schlaf - doch Choquai existierte in Kuang-shis Träumen weiter.
Gemeinsam mit dem chinesischen Vampir Fu Long hatte Zamorra versucht, den wiedererwachten Kuang-shi daran zu hindern, die ganze Welt in ein Abbild seines Vampirreiches zu verwandeln. Dabei war der Dämonenjäger selbst in das alte Choquai versetzt worden. Er hatte keine Erinnerung mehr an das, was dort geschehen war. Aber alles sprach dafür, dass er selbst dieser geheimnisvolle Tsa Mo Ra war, von dem die Schriften sprachen. [1]
Und sein Traum schien das zu bestätigen. Er erinnerte fatal an die beängstigenden Visionen, die er gehabt hatte, bevor die Vermischung der Welten begonnen hatte.
Bitte nicht , dachte Zamorra. Nicht schon wieder!
***
»Vielleicht hast du einfach nur schlecht geträumt«, sagte Nicole Duval. »Wäre ja kein Wunder bei den Horrorgestalten, mit denen wir uns tagtäglich herumschlagen müssen. Das reicht für ein ganzes Leben voller Albträume.«
Zamorra schüttelte den Kopf, während er missmutig aus dem Fenster blickte, das einen wunderbaren Panoramablick auf das Loiretal ermöglichte. Doch der Dämonenjäger hatte keinen Blick für die Schönheiten der Natur. Missmutig nippte er an seinem Kaffee. Es war schon sein dritter heute, doch er fühlte sich immer noch wie betäubt.
»Nein. Das war kein Albtraum. Es fühlte sich so verdammt echt an. Genau wie damals…«
Zamorra starrte in seine Kaffeetasse, als hoffte er, darin die letzten Geheimnisse des Universums zu entdecken, und ignorierte Nicoles besorgten Blick. Die schöne Französin saß an einem der drei Computerterminals des Arbeitszimmers im Nordturm. Eigentlich wollten sie das Internet nach möglichen Hinweisen auf eine Rückkehr Kuang-shis durchforsten, doch im Moment konnten sie sich nicht darauf konzentrieren. Zamorras Visionen hatten sie zu sehr aus der Fassung gebracht.
Kuang-shi! Konnte es wirklich sein, dass…
Nein. Der Götterdämon schlief. Zamorra selbst hatte ihn zusammen mit Fu Long ausgeschaltet. Es konnte nicht sein.
Und wenn doch?
»Ich wünschte, Fu Long wäre hier«, murmelte Zamorra.
»Das ist nicht dein Ernst, oder?«
»Mein voller. Niemand kennt Kuang-shi besser als er.«
In Bezug auf Fu Long würden sie wohl nie einer Meinung sein. Zwischen Zamorra und dem chinesischen Vampir hatte sich während ihres gemeinsamen Kampfes gegen den legendären Götterdämon eine Partnerschaft entwickelt, die weit über ein reines Zweckbündnis hinausging. Natürlich hatte der Parapsychologe den Motiven des Vampirs zunächst misstraut, zumal Fu Long ein Meister der Geheimniskrämerei war, der immer nur mit den allernötigsten Informationen rausrückte.
Doch in all den Jahren hatte Zamorra lernen müssen, dass es selbst im elementaren Krieg zwischen Gut und Böse zahlreiche Grautöne gab. Er war Gegnern der Hölle begegnet, die in ihrem erbitterten Kampf gegen die Mächte der Finsternis jede Grenze überschritten hatten. Und es gab Kreaturen der Nacht, die einen unerwarteten Sinn für Ehre und Gerechtigkeit bewiesen und manchmal sogar unter dem litten, was sie waren. So wie Fu Long, der angeblich seit vielen Jahren kein menschliches Blut mehr getrunken hatte und mit allen Mitteln die Rückkehr Kuang-shis verhindern wollte.
Nicole dagegen hatte ihr Misstrauen gegen den
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