Nichts bleibt verborgen
Monitors befand. Darauf war eine dreiköpfige Familie zu sehen, die sich vor einem weißen Holzhaus gruppiert hatte. Die Eltern hatten sich die Arme um die Hüften gelegt, während sich der Sohn an die Beine des Vaters drückte. Franziska übernahm die Maus und vergrößerte die Aufnahme.
Sekundenlang waren sie so perplex, dass keiner ein Wort herausbrachte.
»Das gibt’s doch nicht …« Alexanders Augen wurden so groß wie Untertassen. Das Foto stammte aus dem Jahr 2003 und war in der Zeitung VG erschienen. Drei glückliche Gesichter strahlten in die Kamera. Ein Mann mit kurzen blonden Haaren und auffallend kleinen Augen streckte dem Fotografen seinen gehobenen Daumen entgegen. Der Junge mochte erst vier oder fünf Jahre alt sein, doch Alexander und Franziska erkannten ihren Klassenkameraden auf den ersten Blick. Alexander murmelte die Bildunterschrift: » Die glückliche Familie Enger aus Oslo hat den ersten Preis in unserem Ratewettbewerb gewonnen: eine zweiwöchige Reise nach Mallorca inkl. Vollpension in einem Fünf-Sterne-Hotel .«
»Oh mein Gott«, hauchte Franziska. »Du hast recht gehabt.«
Kapitel 28
Sie hatten noch eine Weile zusammengesessen und alle Hinweise, Indizien und Tatsachen, die sie inzwischen herausgefunden hatten, geordnet – so, wie man die Teile eines Puzzles sortiert. Dabei stellten sie rasch fest, dass es nur eine einzige Möglichkeit gab, die Puzzleteile zu einem vollständigen und logischen Bild zusammenzusetzen. Ein Bild, das noch ein, zwei leere Flecken hatte, sich aber nichtsdestoweniger klar und eindeutig abzeichnete:
Es war Eriks Vater, der früher in Granbergs Firma angestellt gewesen und wegen krimineller Machenschaften für vier Jahre ins Gefängnis gekommen war. Das war im Jahr 2004 gewesen, Erik war damals fünf Jahre alt. Da sie wussten, dass Erik mit seiner Mutter allein lebte und mit Nachnamen Lunde hieß, vermuteten sie, dass die Eltern sich hatten scheiden lassen und Erik seitdem den Mädchennamen seiner Mutter trug.
Mathias kannte Eriks Familie. Seine rätselhafte Andeutung, Magnus’ Vater würde unschuldige Leute ins Gefängnis bringen, konnte nur bedeuten, dass zumindest Erik der Meinung war, sein Vater sei damals zu Unrecht verurteilt worden. Mehr noch: dass Ole Granberg die Schuld an seiner Verurteilung trug.
Was bei Erik einen abgrundtiefen Hass auf die Familie Granberg ausgelöst haben musste. Einen Hass, der so groß war, dass er ein Komplott gegen den Sohn der Familie schmiedete, um sich dafür zu rächen, dass er ohne Vater aufwachsen musste. Dass Magnus gern zündelte und zu gewalttätigen Aktionen neigte, war allgemein bekannt. Also entschied sich Erik, eine Tat zu begehen, die scheinbar Magnus’ Handschrift trug. Er steckte eines Nachts den Geräteschuppen auf dem Sportgelände der Schule in Brand und deponierte am Tatort eines von Magnus’ Lederarmbändern, das er diesem zuvor gestohlen hatte, um den Verdacht auf ihn zu lenken. Daher auch sein unbeholfener Versuch im Bowlingcenter, diese Armbänder ins Spiel zu bringen, obwohl er eigentlich nicht wissen konnte, dass man eines davon am Tatort gefunden hatte. Dass bei dem Versuch, Magnus eine Straftat in die Schuhe zu schieben, eine unbeteiligte Person ums Leben gekommen war, konnte nur ein tragischer Zufall gewesen sein.
Alexander und Franziska waren sich einig. So und nicht anders musste alles zusammenhängen. Und nachdem sie sich mit dem Versprechen, absolut dichtzuhalten, von ihm verabschiedet hatte, war Alexander nur noch eine Frage durch den Kopf gegangen: Wie sage ich es meinem Vater?
Denn dass er ihm alles sagen musste, stand außer Frage. Er wusste einfach zu viel, um dieses Wissen weiterhin für sich zu behalten. Natürlich würde er zugeben müssen, trotz des Rechercheverbots ein wenig weitergeforscht zu haben, doch war er auch ein wenig stolz, dem ermittelnden Hauptkommissar die Lösung des Falls auf dem Silbertablett präsentieren zu können.
Als er das Knirschen von Autoreifen auf der Einfahrt hörte, schlug sein Herz schneller. Und als kurz darauf eine kompakte, durchtrainierte Gestalt im Türrahmen erschien, musste er sich gewaltig zusammenreißen, um dieser nicht gleich alles, was er auf dem Herzen hatte, vor den Latz zu knallen. Er musste behutsam vorgehen. Durfte keinesfalls mit der Tür ins Haus fallen.
»Hallo, Alex. Wie war dein Tag?«
Alexander biss sich auf die Lippen.
Sein Vater sah ihn fragend an.
»Ich hab was Wichtiges herausgefunden!«, platzte es aus ihm heraus.
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