Nick Adams Stories
einen Kanal überqueren, um ins Lazarett zu kommen. Man hatte die Wahl zwischen drei Brücken. Auf der einen verkaufte eine Frau geröstete Kastanien. Es war warm, wenn man dicht vor ihrem Kohlenfeuer stand, und die Kastanien waren nachher warm in der Tasche. Das Lazarett war sehr alt und sehr schön, und man betrat es durch ein Tor und ging durch einen Hof und durch ein Tor auf der anderen Seite hinaus. Gewöhnlich setzte sich gerade ein Leichenzug vom Hof aus in Bewegung. Jenseits des alten Lazaretts lagen die neuen Backsteinpavillons, und dort trafen wir uns jeden Nachmittag, und wir waren alle sehr höflich und interessiert an dem, was mit den anderen los war, und saßen in den Apparaten, die eine so große Besserung herbeiführen sollten.
Der Doktor kam an den Apparat, in dem ich saß, und sagte: «Was war vor dem Krieg Ihre Lieblingsbeschäftigung? Trieben Sie Sport?»
Ich sagte: «Ja, Football.»
«Gut», sagte er, «Sie werden besser denn je Football spielen können.»
Mein Knie ließ sich nicht beugen, und mein Bein hing vom Knie bis zum Knöchel ohne Wade gerade herunter, und der Apparat sollte das Knie beugen und Dreiradbewegungen mit ihm ausführen. Aber noch ließ es sich nicht beugen; statt dessen schlingerte die Maschine immer, wenn’s ans Beugen ging. Der Doktor sagte: «Das wird sich alles geben. Sie sind ein Glückspilz, junger Mann. Sie werden wieder Football spielen – wie ein Champion.»
Im nächsten Apparat saß ein Major, dessen eine Hand so klein war wie die eines Babys. Er zwinkerte mir zu, als der Doktor seine Hand untersuchte, die zwischen zwei Lederriemen eingespannt war, die auf und ab schnellten und gegen die steifen Finger schlugen, und sagte: «Und werde ich auch Football spielen, Herr Stabsarzt?» Er war ein großer Florettfechter gewesen und vor dem Krieg der beste Fechter Italiens.
Der Doktor ging in sein Büro in einem Hinterzimmer und brachte eine Fotografie an, die eine Hand zeigte, die beinahe so verkümmert war wie die des Majors, bis sie einen Heilgymnastikkurs durchgemacht hatte, und nachher ein bißchen größer war. Der Major nahm die Fotografie in seine gesunde Hand und besah sie sich sehr aufmerksam. «Eine Verwundung?» fragte er.
«Ein Arbeitsunfall», sagte der Doktor.
«Sehr interessant, sehr interessant», sagte der Major und reichte sie dem Doktor zurück.
«Sie haben doch keine Zweifel?»
«Doch», sagte der Major.
Jeden Tag kamen drei Jungens, die ungefähr in meinem Alter waren. Sie waren alle drei aus Mailand, und einer von ihnen wollte Rechtsanwalt werden und einer Maler, und der dritte hatte beabsichtigt, Soldat zu werden, und nachdem wir mit unseren Apparaten fertig waren, gingen wir manchmal gemeinsam zurück, zum ‹Café Cova›, das neben der Scala lag. Wir nahmen den kurzen Weg durchs Kommunistenviertel, weil wir zu viert waren. Die Leute haßten uns, weil wir Offiziere waren, und aus einer Weinhandlung rief einer, als wir vorbeikamen: «A basso gli ufficiali!» Ein anderer Junge, der manchmal mitkam und mit dem wir fünf waren, trug ein schwarzseidenes Taschentuch überm Gesicht, weil er damals keine Nase hatte und man ihm ein neues Gesicht machen wollte. Er war von der Militärakademie aus an die Front gekommen und binnen einer Stunde, als er zum erstenmal in der vordersten Linie war, verwundet worden. Sie machten ihm ein neues Gesicht, aber er war aus einer sehr alten Familie, und sie konnten die Nase nie ganz richtig hinbekommen. Er ging nach Südamerika und arbeitete in einer Bank. Aber dies war lange davor, und damals wußte noch keiner von uns, wie es später werden würde. Damals wußten wir nur, daß immer noch Krieg war, aber daß wir nicht mehr mitmachten.
Wir hatten alle die gleichen Orden, bis auf den Jungen mit dem schwarzseidenen Verband überm Gesicht, der nicht lange genug an der Front gewesen war, um irgendwelche Orden zu bekommen. Der lange Junge mit einem sehr blassen Gesicht, der Rechtsanwalt werden wollte, war Leutnant bei den Arditi gewesen und hatte drei Orden von der Sorte, von der wir anderen nur einen hatten. Er hatte sehr lange Zeit mit dem Tode gelebt und war ein bißchen detachiert. Wir waren alle ein bißchen detachiert, und außer daß wir uns jeden Nachmittag im Lazarett trafen, verband uns nichts. Trotzdem, wenn wir durch das Radauviertel der Stadt zum ‹Cova› gingen, wenn im Dunkel Licht und Singen aus den Weinhandlungen drang, und wir manchmal auf den Damm gehen mußten, wenn Männer und Frauen sich
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