Nick aus der Flasche
aufzusaugen.
Mit dem Bus war er über eine Stunde unterwegs, bis er in einem Ort ausstieg, der sich Prince’s Bay nannte. Hier sah alles anders aus als in New York, viel grüner, weiter und vor allen Dingen: nicht überlaufen. Viele neue Wohnsiedlungen entstanden erst, die kleine Stadt war im Aufschwung. Nick suchte die Adresse und fand sich in einer Straße, in der sich nur wenige Häuser aneinanderreihten, die meisten davon im Aufbau oder noch nicht bezogen. Es schien einsam hier, wo Nick nur das hektische Stadtleben kannte, doch dieser beschauliche Ort gefiel ihm.
Schließlich fand er Mr. Solomons Haus, das als einziges ein wenig verkommen wirkte. Aber Mr. Solomon hatte ja nach jemandem gesucht, der ihm in Haus und Garten half.
Tatsächlich traf Nick auf einen älteren Mann mit langem Bart, der ihm freundlich lächelnd die Tür öffnete.
»Guten Tag, Mr. Solomon. Mein Name ist Nicolas Tate und ich …«
»Ja, ja, Junge, komm rein«, sagte der Alte mit kratzender Stimme. Rasch zog er die Tür weiter auf und Nick ging an ihm vorbei.
Im Haus war es recht düster, weshalb er im ersten Moment kaum etwas erkennen konnte, da seine Augen noch von der Sonne geblendet waren.
Er hörte Mr. Solomon hinter sich etwas murmeln, das sich wie Latein anhörte, und Gleichgültigkeit machte sich in ihm breit, eine wohltuende, innere Leere, die ihn angenehm entspannte.
»Wie heißt du?«, fragte der Mann ihn.
Er wusste es nicht und es war ihm auch egal.
»Von nun an wirst du mich Meister nennen und tun, was ich dir befehle.«
»Ja, Meister«, erwiderte er und folgte Mr. Solomon tiefer ins düstere Haus und die Treppen hinab in einen muffigen Keller, in dem zahlreiche Gefäße aller Farben und Formen in Regalen standen. Eine silberfarbene Flasche mit einem dicken Bauch, die mit Schnörkeln und Steinchen verziert war, befand sich auf einem Holztisch.
Weitere Sprüche folgten und alles hatte sich vor seinen Augen gedreht. Als er sein Bewusstsein zurückerlangt hatte, brüllte sein Meister ihn an. Er wusste nicht, was er falsch gemacht hatte, und als er fragte, ließ sein Meister mittels Magie einen in der Luft schwebenden Riemen auf seinen Rücken niedersausen.
»Du wirst keine Fragen stellen, sondern nur tun, was ich dir auftrage. Verstanden, Diener!«
Er schnappte nach Luft, denn der stechende Schmerz hatte ihm den Atem genommen. »Ja, Meister«, erwiderte er mechanisch, obwohl er tief in seinem Inneren wusste, dass es nicht richtig war, was hier passierte …
* * *
»Nick?«, flüsterte Julie, nachdem sie in ihr Zimmer getreten war und die Tür zugemacht hatte. Der Spieleabend hatte länger gedauert, als erwartet, und sie war vor Nervosität beinahe gestorben. Draußen war es bereits stockdunkel, und auch in ihrem Zimmer brannte kein Licht, bis auf das im Puppenhaus. Es war totenstill im Raum, das Album der Stones längst zu Ende.
Als sie nichts hörte, schaltete sie die Nachttischlampe ein, schnappte sich ihre Schlafsachen und huschte ins Bad, um sich bettfertig zu machen. Sie wusch sich, putzte sich die Zähne und zog sich ihr Schlafshirt über.
Ihre erste Nacht mit einem Flaschengeist. Ob sie überhaupt einschlafen konnte?
Während Julie mit ihrer Familie Scrabble gespielt hatte, dachte sie daran, welche Wünsche ihr Nick erfüllen sollte, und hatte sich nicht auf das Spiel konzentrieren können. Es war eine so verdammt schwere Entscheidung!
Ihre Gedanken kreisten ständig um Geld, denn damit könnte sie sich noch ganz viele Wünsche erfüllen. Doch immer wieder rannte sie gegen dieselbe Mauer: Wie sollte sie ihren Eltern erklären, warum sie plötzlich reich war? Sie müsste ihnen Nick vorstellen. Was würde dann passieren? Was, wenn sich herumsprach, dass sie einen Flaschengeist besaß? Jeder würde auf einmal Wünsche erfüllt haben wollen, das war gewiss wie bei einem Lottogewinn. Außerdem würde das Fernsehen vor der Tür stehen, Mediziner und Wissenschaftler würden Nick untersuchen wollen … Oh Gott, ein Horrorszenario folgte dem nächsten.
Nein, niemand durfte etwas von ihm erfahren. Sie hatte zu große Angst, ihn zu verlieren.
Nachdem sie im Badezimmer fertig war, schlich sie sich an das Puppenhaus heran und schaute durch die Fenster. Im Obergeschoss waren die Vorhänge zugezogen, daher sah sie nur das Licht durchschimmern. Im unteren Stockwerk war Nick nicht. Ob er tatsächlich schon schlief?
»Ich hole meinen iPod raus, wenn’s dir recht ist«, sagte sie leise, denn sie hörte zum Einschlafen
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