Nick Perfect – Bruder per Post
gebraucht?«, fragte ich. Ich versuchte, wie ein Kollege zu klingen, statt wie ein Junge, der keine Ahnung hat.
» Sehr lange«, erwiderte Pa und schien an die Zeit zurückzudenken, als Nick noch… ja, was war er gewesen, ein paar Zeichnungen in einem Skizzenblock? Ein Haufen Codes, der auf den Bau eines geeigneten Prozessors wartete?
» Im Lauf der Jahre hab ich mir die Entwürfe immer wieder mal angeschaut«, sagte mein Pa, » und hab ein paar Änderungen vorgenommen. Ich hab auch an der Programmierung gearbeitet. Wie zum Beispiel sollte man ein Niesen programmieren? Und ein Lächeln oder ein Stirnrunzeln? Das war eine echte Herausforderung und sehr anregend.«
Er beugte sich vor und wurde richtig aufgeregt– das ist immer so, wenn er über Computer spricht.
» Und dann, an irgendeinem Punkt, war es nicht mehr bloß eine ausschweifende Fantasie, sondern, hey, es schien tatsächlich möglich! Vor etwa fünf Jahren hab ich alles, was ich an Unterlagen hatte, kopiert und an Jean-Pierre geschickt, um zu sehen, was er dazu meinte. Ich hab damals ehrlich gedacht, dein Onkel würde mich zum Psychiater schicken, doch stattdessen gab er seine Stelle auf und begann, an dem Projekt zu arbeiten.« Er lächelte ein wenig. » Und der Rest ist Geschichte. Oder wird es zumindest sein, wenn alles klappt.«
Während ich über seine Worte nachdachte, ging Pa an seinen Computer, klickte eine Datei an und zeigte mir ein paar der ersten Skizzen für die Roboter.
Die Zeichnungen sahen Nick kein bisschen ähnlich, aber irgendwo müssen wir schließlich alle anfangen. Und da Pas Augen, als er mir die Datei zeigte, vor Hoffnung leuchteten, wünschte ich mir sehnlichst, dass sein Roboterexperiment ein Riesenerfolg werden würde. Das größte Hindernis war vielleicht meine Ma. Aber wenn sie von Pas verrücktem Traum erfuhr, ein unzerstörbares Kind zu erschaffen…
» Weiß Ma, warum du den Roboter gebaut hast?«, fragte ich.
Pa schüttelte rasch den Kopf. » Ich werde es ihr eines Tages sagen, wenn sie dafür bereit ist. Aber in letzter Zeit, immer wenn wir über die Tage nach Luciens Tod geredet haben…« Er ließ den Satz so stehen.
Ich fragte, warum er den Roboter hatte André taufen wollen.
» Es war ein Wortspiel«, antwortete Pa und wandte sich wieder der Arbeit an Nick zu. André– Android. Vermutlich albern. Nick passt besser und suggeriert, dass er ein ganz normales Kind ist. Kein Grund, näher hinzuschauen.«
Hm– darüber hatte ich gar nicht nachgedacht. Aber da Pa vielleicht gern jemanden auf seiner Seite hatte, sagte ich ihm, André sei doch ein super Name. Und da beschlossen wir, dem Roboter den zweiten Namen André zu geben.
Ich betrachtete Nick, während Pa weitere Reparaturen mit dem Lötkolben vornahm. Der Strom war abgestellt, Nicks Augen waren geschlossen, aber seltsamerweise hatte ich das Gefühl, der Roboter sei irgendwie bei uns und bekäme mit, was gerade geschah. Der Ärmste wurde ohne Narkose repariert.
» Kann Nick spüren, was du da machst?«, fragte ich.
» Nein, natürlich nicht«, antwortete Pa und ließ den Lötkolben sinken. » Selbst bei angeschaltetem Strom wäre Nick nicht darauf programmiert, Schmerz zu empfinden. Vielleicht wird eines Tages dann Nick Nr. 2 oder Nick Nr. 3 diese Fähigkeit besitzen, falls es deinem Onkel und mir gelingt, künstliche Nerven zu schaffen, aber unser Nick hier wird niemals Kopfweh, Zahnschmerzen oder Bauchzwicken haben. Wenn er vom Rad fällt und sich die Knochen bricht– beziehungsweise eine Stützleiste–, wird er es nicht spüren.«
Der Roboter hatte es gut.
Pa griff nach einer Zange und befestigte damit einen grünen Draht an einem Schaltbrett.
Plötzlich fuhr ein Zittern durch Nicks Körper. » Nur ein kleiner Spannungsstoß«, beruhigte mich Pa. » Nichts Ernstes.«
Ich sah Nick an. Und wenn mein Pa sich täuschte? Wenn Nick doch Schmerz fühlte oder Angst oder irgendetwas von der Operation mitbekam? Das wäre grässlich gewesen. Und deshalb hielt ich, obwohl Nick ohne Strom war und vermutlich nichts fühlte, seine Hand, während Pa an ihm arbeitete. So was machte man wohl als älterer Bruder, wenn der jüngere eine schwere Operation hatte, auch wenn der kleine Bruder, wofür er ja nichts konnte, zufällig ein Roboter war.
Und wisst ihr, was unheimlich war? Ich glaube, Nick wusste, dass ich ihm die Hand hielt. Vielleicht drückte er meine Hand sogar ein bisschen. Na ja, wahrscheinlich lag es wieder mal an meiner hyperaktiven
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