Nick Perfect – Bruder per Post
Fantasie.
17.
Ich räumte die Spülmaschine aus, und dann musste ich baden. In der Wanne ließ ich mich unter Wasser sinken, um zu sehen, wie lang ich die Luft anhalten konnte: vierundfünfzig Sekunden. Aber ich zählte ziemlich schnell, deshalb waren es vielleicht eher vierzig Sekunden.
Im Schlafanzug ging ich dann noch mal ins Labor hinüber. Ich rannte durch den Korridor, weil ich keinem der Nachbarn begegnen wollte – es ist unmöglich, im Schlafanzug cool auszusehen. Nick war komplett zusammengesetzt und wieder angeschaltet. Er und Pa führten gerade ein Video-Gespräch mit Onkel Jean-Pierre und dessen Roboterkind Jean-Pierre jr., aber im Grunde redeten nur mein Pa und mein Onkel. Pa und Onkel Pierre unterhalten sich fast täglich am Computer, als wären sie beste Freunde, die es kaum ein, zwei Tage ohne Nachricht aushalten. Das finde ich super!
Und irgendwie machte es Spaß, die beiden Roboter miteinander zu vergleichen. Jean-Pierre jr. hatte ein schmaleres Gesicht und dunklere Augen und sah fast ein bisschen wie mein Onkel aus. Beide Roboter trugen Baskenmützen, und ich nannte sie in Gedanken » Die Baskenbrüder« und musste fast lachen. Aber dann wurde mir klar, dass sie eigentlich Cousins waren, was nicht so lustig war.
» Hallo, Benjamin«, sagte mein Onkel, als ich mich neben Pa setzte. Ich sagte hi und sah im Hintergrund die Freundin meines Onkels, Véronique, die mit irgendwas beschäftigt war. Véronique ist, äh… na ja, ich sprech es jetzt einfach mal aus: WUNDERSCHÖN . Ich war immer glücklich, sie beim Chat zu sehen, auch wenn ich vor Aufregung jedes Mal fast ausflippte! Na ja, so was kommt vor.
Mein Pa und mein Onkel redeten über Nick und Jean-Pierre jr. und Reparaturen und Software-Updates und solchen Kram. Ich saß zwar direkt daneben, aber ich hätte genauso gut auf dem Mond sein können. Als sie dann plötzlich französisch sprachen, fühlte ich mich noch ausgeschlossener. So ziemlich das einzige Wort, das ich verstand, war Mas Name, also redeten sie wahrscheinlich darüber, dass Ma Nick nicht gerade mit offenen Armen bei uns willkommen geheißen hatte.
Es wurde immer später, und ich langweilte mich allmählich und wollte meinem Pa gerade sagen, dass für Nick und mich Bettgehzeit sei, da warfVéronique irgendein Werkzeug hin und sagte: » C’est de la folie, de posséder tant de matériel de qualité inférieure!« Ich konnte nur raten, was diese Worte bedeuteten. Sie kam neben meinen Onkel und schob ihn und Jean-Pierre jr. beiseite, sodass ihr Gesicht fast den ganzen Bildschirm ausfüllte. Es war kein fröhliches Gesicht. Aber dann entdeckte sie mich und setzte rasch ein Lächeln auf.
» Hallo, Ben«, sagte sie. » Wie geht’s dir heute Abend?« Mir fiel auf, dass sie Nick nicht begrüßte, obwohl er direkt neben mir saß.
» Äh, gut«, erwiderte ich etwas piepsig. Bei Véroniques Stimme kriege ich immer wacklige Knie. So tief. So geheimnisvoll.
» Ich wollte mich gerade bei deinem Vater und deinem Onkel beschweren«, sagte sie und runzelte leicht die Stirn, » über all das minderwertige Equipment hier. Dabei könnten wir sehr viel Geld– und neue Werkzeuge!– haben, wenn wir die Öffentlichkeit über unsere Fortschritte bei der menschlichen Robotik informieren würden. Wir könnten uns sogar ein anständiges Labor einrichten. Meiner Meinung nach ist es absolut idiotisch, mit der Veröffentlichung noch ein Jahr zu warten. Das wäre ja so, als würde man ein Jahr lang warten, bis man einen Lottogewinn einlöst.«
» Aber, Liebling«, sagte mein Onkel zu ihr, » wir haben doch schon besprochen, dass man unbedingt zuerst testen muss, wie die Roboter auf die Familie und das gesellschaftliche Leben reagieren, auf den Druck und die täglichen Anforderungen. Und das braucht Zeit. Mindestens ein Jahr.«
Véronique starrte Onkel Jean-Pierre finster an. » Das sind Maschinen, keine Menschen, und sie sind bereits gründlich getestet worden. Wenn ein Schaltbrett kaputtgeht, setzen wir ein neues ein. Wenn sie grundlos ein chaton angreifen, ändern wir etwas an der Programmierung. Was gibt’s da noch zu testen?«
Ich bekam zufällig mit, dass mein Pa die Augen verdrehte und leise stöhnte. Auf solche Gespräche hatte er keine Lust.
» Offenbar bin ich hier die Einzige, die très reich werden möchte«, fuhr Véronique fort. » Wir können 50 000 Euro pro Roboter verlangen, und ich wette mit euch, dass wir schon am ersten Tag Hunderte von Bestellungen hätten. Wir haben da eine
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