Nick Stone - 02 - Doppeltes Spiel
mehr Narben, sah ich bestimmt bald wie eine Cabbage-Patch-Puppe aus, mit der Kelly mich manchmal verglich. Während ich mir mit lauwarmem Wasser den Schmutz und das
angetrocknete Blut vom Arm spülte, schwieg Sarah zunächst noch. Die Bisswunden waren ziemlich tief, aber weniger großflächig, als ich befürchtet hatte.
»Nick, glaubst du nicht, dass ich daran schon längst gedacht habe?«
Ich warf einen Blick in den Spiegel und sah sie auf dem Bett sitzen.
»Mit jemandem Verbindung aufzunehmen ist keine Option, weil das keine Lösung wäre.«
Ich wusch die Wunden langsam mit Seife und lauwarmem Wasser aus, wartete darauf, dass das erste schreckliche Brennen abklang, und versuchte zu analysieren, ob hinter Sarahs Argumentation mehr als nur Partygeschwätz steckte.
Das Klimagerät füllte den Raum mit überheizter Luft, die meine Augen brennen ließ.
»Nick, wie hätten die Attentäter deiner Meinung nach hier in den USA an die Zielperson herankommen wollen? Indem sie einfach auf sie zugehen und ihr freundlich auf die Schulter klopfen?«
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Ich zuckte mit den Schultern. Wie ich mir das vorstellte, spielte keine Rolle, denn Sarah würde es mir erzählen. Ihre Worte brachen wie ein Sturzbach über mich herein. »Nick, Bin Laden hat einen Informanten in höchsten Kreisen. Wir vermuten sogar, dass sein Informant im National Security Council sitzen könnte. Stell dir vor, was das bedeutet: die Gruppe, die den Sprengstoffanschlag auf das World Trade Center verübt hat … und auf die Khobar Towers in Saudi-Arabien, weißt du noch? Dabei sind neunzehn amerikanische Soldaten umgekommen. Und sie hat schon 1995 einen
Anschlag in Saudi-Arabien verübt, der fünf Amerikanern das Leben gekostet hat.
Das sind Leute, deren Informant irgendwo ganz weit oben in der US-Regierung angesiedelt ist. Deshalb kann ich nicht einfach nach dem Telefonhörer greifen und Unterstützung anfordern: Der Informant würde davon erfahren, für ein paar Jahre abtauchen und nie entdeckt werden. Aber er muss enttarnt werden, wenn wir Bin Laden stoppen wollen.«
Sarahs Augen blitzten leidenschaftlich, als sie fortfuhr.
»Nick, dieser Informant hat Zugang zum Intelink. Das bedeutet nicht nur, dass er frühzeitig von meiner telefonischen Kontaktaufnahme erfahren würde, sondern auch, dass er Bin Laden und etwaige weitere Auftraggeber sofort warnen könnte.
Glaubst du nicht auch, dass ich liebend gern telefonieren und mich hier rausholen lassen würde?«
Nun, falls das stimmte, kam ein Anruf wohl nicht in Frage.
Das Intelink ist ein streng geheimes Netzwerk, in dem alle amerikanischen und einige befreundete Geheimdienste
Informationen austauschen. Darüber hinaus hat jeder Dienst ein eigenes Intranet, das durch Brandmauern gegen das 410
Hauptsystem abgeschottet ist. Insgesamt gibt es etwa hundert Sites, die nur Leuten mit höchster Sicherheitseinstufung zugänglich sind. Hatte Bin Ladens Informant Zugang dazu, musste er tatsächlich ziemlich weit oben stehen.
Ich wusch meine Wunden aus, dachte dabei nach und
schwieg weiter. Sagte sie die Wahrheit – wurde Netanjahu das Opfer eines Attentats, weil es diese Quelle wirklich gab –, war das natürlich ein Drama, das mein Leben aber nicht spürbar beeinflussen würde. Eine interessante Frage: Würde es überhaupt irgendjemandes Leben beeinflussen?
Im Spiegel hatte ich noch immer ihr Bild vor mir. »Hey, ermordet man einen israelischen Premier«, sagte ich, »tritt ein anderer an seine Stelle. Was macht das schon?«
Irgendwie schien meine Äußerung Sarah zu amüsieren, denn ihre Nase kräuselte sich, als sie mich mit einem strahlenden Lächeln bedachte. »Sie wollen nicht nur Netanjahu ermorden, Nick. Ihr Hauptziel ist Arafat. Bin Laden hasst ihn – sogar noch mehr als Netanjahu, weil er die Hamas und andere fundamentalistische Gruppierungen unterdrückt und den Friedensprozess fördert.«
Ich sah auf meinen Arm hinab und versuchte ein Lächeln zu verbergen. »Unser Freund Osama ist nicht gerade darauf versessen, neue Freunde zu gewinnen, was?«
Mein kleiner Scherz kam nicht gut an; Sarah sprach unbeirrt weiter, als sei sie Elizabeth, die mir Anweisungen für einen neuen Einsatz erteilte. »Bin Laden organisiert dieses Attentat nur wegen seiner weltweiten Wirkung. Auf die Frage eines CNN-Reporters nach seinen Zukunftsplänen hat er
geantwortet: ›So Gott will, werden Sie sie in den Medien sehen und von ihnen hören.‹ Seither haben islamische
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Dschihadgruppen die Vereinigten
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