Nick Stone - 02 - Doppeltes Spiel
der ein Haus in so herrlicher Lage betrat, denn nicht die Aussicht zeigen wollen? Vielleicht wusste sie etwas Besseres mit ihm anzufangen. Vielleicht war er auch nur ein weiterer Tölpel, den sie für ihre Zwecke ausnutzte. Aber für welche?
Es dauerte fast zwei Stunden, bis der Explorer zurückkam.
Auf dem Rücksitz saßen jetzt Leute, aber ich konnte nicht gleich feststellen, wie viele Personen es waren. Mein Blick ging zwischen dem Geländewagen und der Seitentür des 244
Hauses, die sich bestimmt gleich öffnen würde, hin und her.
Diesmal trat der Amerikaner ins Freie. Sarah ließ sich nicht wieder blicken. Er wirkte wachsam, als er über den See hinaussah, und spielte wie MiB zuvor mit einer Gebetskette.
Ich beobachtete ihn, bis die Reifen des Explorer langsam an meinem Versteck vorbeiknirschten. Sein Jeanshemd hing jetzt über den Jeans heraus und war unter der Bomberjacke sichtbar.
Ich hatte richtig vermutet: Sarah und er hatten Besseres zu tun gehabt, als die Aussicht zu bewundern.
Der Geländewagen hielt, und ich sah zwei weitere Männer auf dem Rücksitz. Als die vier Kerle ausstiegen, betätigte ich wieder den Drahtauslöser.
Die beiden Neuankömmlinge waren dunkelhäutig. Sie
umarmten den Amerikaner und küssten ihn zur Begrüßung auf beide Wangen. Anscheinend kannten sie ihn ziemlich gut.
Trotzdem gab es keine lautstarke, fröhliche Begrüßung und kaum ein Lächeln; die drei sprachen so leise, dass ich kein Wort mitbekam. Ich spürte jedoch eine gewisse Erleichterung, die bei dieser Begegnung in der Luft zu liegen schien.
MiB und der mickrige Kleine hatten die Hecktür geöffnet und zogen zwei große Aluminiumboxen heraus, die mit
abgewetzten roten Zerbrechlich -Schildern bepflastert und mit dem Sicherheitsklebeband einer Fluggesellschaft als
kontrolliert gekennzeichnet waren. Die beiden machten sich daran, die Boxen durch den Nebeneingang in die Garage zu schaffen. Der Kofferraum des Explorer war noch voller Gepäckstücke: Ich sah Reisetaschen, einen weiteren
Kleidersack und eine lange schwarze Kunststoffröhre, die vom Wahlhebel des Automatikgetriebes bis über die Rücksitzlehne reichte. Sie war ungefähr zwei Meter lang und an beiden 245
Enden durch aufgesetzte Deckel verschlossen. Das Ding war die größte Posterröhre der Welt – oder die Neuankömmlinge hatten darin Angelzeug mitgebracht, was ich für
unwahrscheinlich hielt. Einer der beiden nickte dem anderen zu, und der Amerikaner war ihnen behilflich, ihr Zeug auszuladen.
Ich machte noch ein paar Aufnahmen. Der eine
Neuankömmling war viel älter als die anderen. Er war klein und kahlköpfig, trug einen sorgfältig gestutzten schwarzen Schnurrbart und war etwas übergewichtig, vor allem um den Bauch herum. Er sah wie jemand aus, der für die Filmrolle eines Gangsterbosses prädestiniert war. Sein Begleiter, eine eher durchschnittliche Erscheinung – mittelgroß, nicht besonders muskulös, bartlos, keine besonderen Kennzeichen –, schien ungefähr zwanzig zu sein. Er hätte ein paar von den Portionen vertragen können, die der Glatzkopf schon in sich hineingestopft hatte.
Nach mehreren Trips, bei denen die Jungs zum Teil schwere Ausrüstungsgegenstände geschleppt hatten, war der
Geländewagen leer und alles Mitgebrachte in der Garage verstaut. Die Seitentür fiel ins Schloss, und das Haus sah wieder so aus, als sei hier den ganzen Tag über nichts passiert.
Was ging hier vor?
Seit ich Sarah kannte, war mir aufgefallen, dass sie große Sympathien für Araber hegte. Sie hatte fast ihr gesamtes Leben immer wieder mit ihnen zu tun gehabt. Als ich darüber nachdachte, fiel mir ein, dass wir uns sogar einmal über Jassir Arafat gestritten hatten. Ich fand, er leiste gute Arbeit; Sarah behauptete, er verkaufe sein Volk an den Westen. »Hier geht’s um Heimat – kulturell und spirituell, Nick«, sagte sie, wenn 246
dieses Thema wieder einmal zur Sprache kam, und niemand, der schon einmal in Sichtweite eines palästinensischen Flüchtlingslagers gewesen war, konnte ihr widersprechen.
Aber jetzt fragte ich mich, ob dahinter nicht doch mehr steckte.
Inzwischen hatte Nieselregen eingesetzt. Der Busch hielt das Nieseln vorläufig noch von mir ab, aber vor dem
Hintergrund des Hauses war es deutlich zu sehen. Auf dem See hörte ich Außenbordmotoren tuckern, als die kühnen Angler wieder ausliefen, um vielleicht doch einen halbpfündigen Karpfen zu fangen. Die Mittagspause war offenbar zu Ende.
Zu einer Überwachung gehört
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