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Niedergang

Niedergang

Titel: Niedergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Graf
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gewesen, um nicht ganz untrainiert zu sein.
    Und dies alles für nichts? Er war verärgert, ließ sich jedoch nichts anmerken, stellte nur sachlich noch einmal fest, dass sie diese Wanderung nicht machen könnten, wenn sie jetzt nicht losgingen.
    Aus dem Nebel heraus fiel leichter Regen, es schien dunkler statt heller zu werden, Windstöße fetzten gegen ihre Wangen. Zum Glück war der Becher mit dem Kaffee noch halb voll, sonst hätte der Wind ihn auf die Straße gefegt.
    André, der die Wanderung, da sie ihn an die schönsten Tage seiner Kindheit erinnerte, unbedingt machen wollte, legte den Arm auf den Tisch, streckte nun seinerseits die Hand hinüber zu Louise und zappelte mit den Fingern, als Zeichen, dass sie ihre Hand in die seine legen solle.
    » Willst du denn noch? « , fragte er.

2 – Kleine Canyons
    Sie schulterten die bleischweren Rucksäcke. André half Louise, indem er ihren Rucksack hochhob; seinen eigenen, der wegen des Kletterseils, der Karabiner und Bandschlingen noch schwerer war, stellte er zuerst auf sein an einer Hauswand angewinkeltes Bein, dann schlüpfte er mit dem Arm durch den einen Schultergurt.
    Sie zogen los, die Kapuzen um die Gesichter festgezurrt, wegen der Rucksäcke leicht vornübergebeugt. Nebeneinander gingen sie die paar Meter auf der geteerten Straße, die zum Dorfrand führte, wo ein steiler, schiefer Kiesweg begann, der nicht mehr von Autos befahren werden konnte, nur noch von Traktoren, Motorrädern und Mountainbikes, und wo Louise auf einmal hinter ihm herging, obwohl der Weg breit genug für beide war.
    Sie murmelte etwas und blieb stehen. Also musste auch er, der möglichst schnell seinen Rhythmus finden wollte, anhalten; er drehte sich nach ihr um, wahrte mühsam das Gleichgewicht.
    » Einen Moment « , sagte sie, » ich habe einen Schweißausbruch. «
    Wie er ihr bereits im Hotel prophezeit hatte, war sie zu warm angezogen. Sie hatte ihm nicht geglaubt, da sie schnell fror und selbst im Hochsommer oft nicht ohne eine Jacke aus dem Haus ging.
    Er hielt es für klüger, nichts zu sagen. Sie öffnete den Hüftgurt, löste die festgezogenen Schultergurte, und er tat die Schritte, den bereits zurückgelegten Weg wieder hinunter zu ihr hin, nahm ihr den Rucksack ab, damit sie ihn nicht auf den dreckigen Wegrand stellen musste. Unter dem Goretex-Regenschutz trug sie eine Winterjacke und darunter einen Rollkragenpullover aus Lammwolle, dabei hatte er ihr doch erzählt, wie sie früher bei den Pfadfindern auf Schneewanderungen hoch in den Bergen im T-Shirt unterwegs gewesen waren.
    » Für die ersten Meter war die Jacke gut « , sagte sie, » ich hätte gefroren. «
    » Wie lange– zwei Minuten? « , entgegnete er lachend. » Ich sagte doch, dass man meistens zu viel anhat. Man schwitzt, die Kleider werden nass, und wenn man nachher eine Pause macht, friert man. «
    » Du hast ja Recht « , sagte Louise. » Ich muss eben alles selber herausfinden, du kennst mich doch. «
    Er fragte, ob sie den Rolli nicht auch ausziehen wolle; sie verneinte, wies darauf hin, dass sie darunter nur ein T-Shirt trage.
    Nachdem sie die Winterjacke im Rucksack verstaut, die Regenjacke wieder übergezogen und die Kapuze festgezurrt, nachdem er den Rucksack an ihren Rücken gehalten, sie die Schultergurte angezogen und den Hüftgurt geschlossen hatte, konnte es weitergehen. In einer Stunde gebe es die erste fünfminütige Pause, sagte er, und er meinte damit, dass er in der nächsten Stunde keine weiteren Unterbrechungen wünsche.
    André schritt zügig voran.
    Der steile Kiesweg, der aus dem Dorf heraus- und in einen Tannenwald hineinführte, trug die Narben des Schmelzwassers– Rinnen, die das Wasser gestoßen hatte– und Zeichen der Verwüstung, wie faustgroße Kiesel und Äste, die herangerollt und -geschwemmt worden waren. Auf dem lockeren Untergrund rutschten die vor wenigen Wochen in einem Berliner Outdoor-Laden gekauften Wanderschuhe bei jedem Schritt. André und Louise hatten nicht vergessen, sie bei zwei-drei kleinen Wanderungen einzulaufen, die allerdings in ebenem Gelände stattgefunden hatten. Beruhigt stellte André fest, dass seine Schuhe an den Fersen noch nicht zu drücken begannen.
    Hier, einige Meter über dem Dorf, schien der Nebel noch dichter geworden zu sein; zu sehen waren nur die vor ihnen liegenden Meter, eine steil aufsteigende Wand aus Kiesel und Erde, ein erodiertes Gefüge. Selbst der Wald blieb unsichtbar; nur die weit ausladenden Tannäste in Bodennähe hoben sich

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