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Niedergang

Niedergang

Titel: Niedergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Graf
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links und rechts des Weges mit ihrem finsteren Grün von dem schwebenden, dunkelgrauen Nass ab und verrieten den dichten Baumbestand.
    Längst wehte der Wind nicht mehr; vermutlich blieb der Nebel hier noch lange hängen. Wieder setzten leichte Schauer ein, und in den Rinnen des Weges bildeten sich kleine Bäche, vergleichbar mit den von Kindern gebauten Kanälen in einem Sandkasten, die mit einer Gießkanne bewässert wurden.
    Aufgrund des fehlenden Platzes– ein Steinschlag aus früherer Zeit hatte einen Teil des Hanges unpassierbar gemacht– führte dieses Stück des Weges, das bald zu Ende sein musste, steil und gerade nach oben zu einem kleinen Plateau, wo ein Pfad im Zickzack weiterging.
    André hatte die Karte und die Bilder im Internet genau studiert. An einem nebelfreien Tag wanderte man hier im kühlen Schatten, von der Sonne geschützt, und sah die menschengroßen, mit Moos bewachsenen Felsen, die einst heruntergerollt waren.
    Nach einem Blick zurück blieb er stehen, damit der Abstand zu Louise nicht zu groß wurde. Er konnte das Blau ihrer Goretex-Jacke durch den Nebel nicht sehen, aber er hörte ihre Schritte und das reibende Geräusch ihrer Jacke; Louise musste etwa fünfzig Meter hinter ihm sein.
    Nach und nach kam er, weil es regnete und zunehmend dunkler wurde, zu dem Schluss, dass der Nebel oben vielleicht in eine Wolke überging– folglich würden sie nicht in der Sonne, unter blauem Himmel, frei und wie fliegend über dem Nebelmeer wandern. Er wollte Louise nicht von seiner Befürchtung erzählen, nicht jetzt; sie brauchte die Hoffnung auf schönes Wetter, und vielleicht käme noch die Sonne, wenn nicht heute, dann morgen.
    Als Louise bei ihm angekommen war, blieb sie sogleich stehen, den Körper bergab gewandt, als wolle sie die Aussicht genießen. Sie sah nur Grau: dunkelgraue Flächen, hellgraue Schlieren, graugrüne Äste, direkt vor sich graue Steine.
    » Entschuldige « , sagte sie, » aber ich muss mich an die Höhe gewöhnen. «
    » Keine Sorge « , entgegnete er, » noch eine gute Stunde, dann folgt die große Ebene. «
    Er wusste, dass Louise solche Steigungen nicht gewohnt war. Sie konnte in Berlin, irgendwo in Brandenburg oder in ihrer Heimat Mecklenburg-Vorpommern stundenlang wandern– nicht ganz so schnell wie er, aber ohne müde zu werden. Er hingegen hatte bereits als kleiner Bub mit der Familie und bei den Pfadfindern Wanderungen in den Alpen unternommen: ging es steil aufwärts, presste er bei jedem Schritt schwung- und kraftvoll die Hand gegen den Oberschenkel, als könne er sich so zusätzlich abdrücken; ging es hinunter, rannte er verbotenerweise oder ließ sich zumindest ein Stück von den ins Rollen geratenen Steinen tragen– selbst als Erwachsener hielt er das Gleichgewicht spielend.
    Eine Wanderung, bei der es nicht steil aufwärts ging, war für ihn keine Wanderung. Er brauchte die Steigung und das Gewicht des Rucksacks, um zu spüren, dass mit seinem Körper etwas geschah, das ihm guttat; Spaziergänge hingegen auf ebenem Gelände, etwa um einen See herum, waren so leicht, dass er glaubte zu schweben und kaum etwas fühlte. Nein, mit einer richtigen Wanderung war das nicht vergleichbar, trotz der Natur, die ihm im Berliner Umland und auf der Mecklenburgischen Seenplatte so gut gefiel.
    Louise schaute noch immer in das Grau. » Es ist der Sauerstoff « , sagte sie, ohne ihn anzusehen. » Ich muss mich daran gewöhnen. Ich weiß nicht, ob es am Nachmittag schon besser ist. «
    » Der Sauerstoff? Zu viel oder zu wenig? «
    Louise versuchte, sich mit der regennassen Hand den Schweiß aus der Stirn zu streichen, antwortete, sie wisse es nicht.
    » Das kann nicht sein, Lou. Wir sind nicht auf dreitausend Meter Höhe, noch nicht einmal auf zweitausend. « Er lachte.
    Nun hatte der Wind doch einen Weg in den Wald gefunden. Er wehte in starken Stößen von oben herab, drückte den Nebel, dessen Schwaden sich unheimlich verformten, das Tal hinunter.
    » Ach, hör auf! « , sagte Louise.
    Er bot ihr an, ein wenig langsamer zu gehen. Noch eine Viertelstunde, und sie hätten, auf dem kleinen Plateau angekommen, die erste fünfminütige Pause verdient gehabt, die sie bereits jetzt gemacht hatten. Nur ungerne wollte er auf dem Plateau erneut anhalten. So kämen sie nie in einen Trott.
    Im Gehen drehte André sich zu Louise um, die zwei Meter hinter ihm herkam. » Weißt du, warum die Schweizer auf Berge klettern? « , witzelte er. » Um aus dem Gefängnis zu entkommen. « Oben

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