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Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters

Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters

Titel: Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Peter Fischer
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bedeutet, dass eine Ortsmessung den Impuls so verändert, dass er »ganz unbestimmt« wird, wie Heisenberg schreibt, und dass umgekehrt eine Impulsmessung den Ort so verändert, dass er »ganz unbestimmt« wird. Mit anderen Worten: Ort und Impuls eines Elektrons können nicht zugleich »beliebig genau« ermittelt werden; die Messung der einen Größe verhindert die
Bestimmung der anderen, was Bohr später als komplementäre Größe bezeichnen wird.
    Neben dem komplementären Paar »Ort und Impuls« fand Heisenberg noch das zweite Paar »Energie und Zeit«, und als er sich davon überzeugt hatte, dass sich kein Mikroskop bauen ließ, das der quantenmechanisch bedingten und durch das Wirkungsquantum festgelegten Unbestimmtheit der Messwerte entkommen konnte, fasste er seine Überlegungen zusammen und schickte sie an die Zeitschrift für Physik mit der Bitte um Veröffentlichung. Bohr war verärgert, als er in sein Institut zurückkehrte und davon erfuhr, denn offenbar hatten er und Heisenberg verabredet, sich nach der Unterbrechung erneut zusammenzusetzen, um eine gemeinsame Publikation zu entwerfen, die so etwas wie eine »Kopenhagener Deutung der Quantentheorie« hätte ergeben können. Durch Heisenbergs voreiliges Publizieren war ein gemeinsames Papier über Unbestimmtheit und Komplementarität, das den Namen der beiden Wissenschaftler hätte tragen können, aber leider vereitelt worden.
    Bohr war übrigens aus mehr als einem Grund verärgert, wie es scheint, mit guten Argumenten auf seiner Seite. Was Heisenberg an die Zeitschrift für Physik gesandt hatte, enthielt nämlich einen gravierenden Fehler. Es geht dabei um technische Grenzen von Mikroskopen, die mit Mitteln der klassischen Physik zu begründen sind und nichts mit den Quantenphänomenen zu tun haben. Amüsanterweise hatte Heisenberg schon in seiner mündlichen Doktorprüfung Schwierigkeiten, mit den traditionellen Mitteln seiner Wissenschaft zu erklären, ab welcher Vergrößerung ein Mikroskop unscharfe Bilder zu liefern pflegt. Nun reagierte er abermals bockig an derselben Stelle. Bohr konnte ihm klarmachen, dass die Unschärfe nichts mit der Doppelnatur der Elektronen oder anderen Quantenbesonderheiten zu tun habe, sondern schlicht und einfach eine Folge der technischen Vorgaben eines Mikroskops sei. Er forderte Heisenberg auf, die eingeschickte Arbeit zurückzuziehen und noch einmal von vorn zu beginnen.
    Heisenberg lehnte ab – und in den folgenden Wochen brach ein heftiger Streit aus, bei dem scharfe Worte gewechselt wurden und
wohl auch Tränen (aus Heisenbergs Augen) geflossen sind. Es dauerte bis zum Mai 1927, ehe Heisenberg wenigstens ein wenig nachgab und sich bereit erklärte, den Fehler in einer Fußnote einzuräumen. Seine Arbeit, so schrieb er, enthalte »wesentliche Punkte«, die er übersehen und auf die Bohr ihn inzwischen hingewiesen habe. Er wolle, so Heisenberg weiter, noch einmal betonen, was wirklich wichtig sei, nämlich die Erkenntnis, dass die Unsicherheit in der Beobachtung nicht allein durch das Vorhandensein diskreter Teilchen und kontinuierlicher Wellen entstehe, sondern auch durch die Forderung zustande komme, »den verschiedenen Erfahrungen gleichzeitig gerecht zu werden, die in der Korpuskulartheorie einerseits, der Wellentheorie andererseits zum Ausdruck kommen«.
    Bohr hatte sich einmal beklagt, dass zwar alle Physiker Heisenbergs Arbeit lesen würden, aber nicht die Ergänzung am Ende des Papiers. Vermutlich ist es genau umgekehrt. Zumindest alle Biographen stürzen sich auf die Korrektur, und sie quälen sich nicht mehr durch die Originalarbeit. Das ist auch nicht unbedingt erforderlich, denn Heisenberg lieferte in seinen öffentlichen Vorträgen bessere Erklärungen dafür, worum es ihm gegangen ist; außerdem ist der oben erläuterte Sachverhalt, der tatsächlich mit der Unbestimmtheit erfasst wird, erst später in voller Klarheit in das Bewusstsein getreten.
    Was steckt aber wirklich hinter dem Streit um die Fußnote? Es gibt Interpreten, die Heisenbergs Selbstwertgefühl anführen und der Ansicht sind, dass es ihn gestört habe, von Bohr erklärt zu bekommen, dass die Unbestimmtheit nur ein Spezialfall seiner allgemeinen Idee der Komplementarität sei. Heisenberg musste damit rechnen, in Bohrs Schatten zu geraten, so wie er schon in Schrödingers Schatten zu stehen gekommen war, dessen Wellenmechanik die einfachere Methode zu sein schien und deshalb auch die größere Zustimmung gefunden hatte. Andere orientieren

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