Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters
imaginären Dimensionen beschreibt. Die berühmte von ihm eingeführte Funktion, die er seltsamerweise mit dem sonst nur in der Psychologie gebräuchlichen griechischen Buchstaben Psi bezeichnet hat, erfüllt seine Gleichung nur, wenn sie mit einem Imaginärteil ausgestattet ist, also genau dieselbe neue Dimension in die Physik einführt, die auch Heisenberg mit seinem Ansatz – der mit Größen operiert, die Fachleuten als Matrizen bekannt sind – benötigte.
Schrödinger konnte sehr bald beweisen, dass seine Version einer Atommechanik mit Quanten der von Heisenberg gefundenen Fassung gleichwertig ist, was bedeutet, dass immer dann, wenn die dabei auftretenden Gleichungen auf ihre realen Anteile reduziert werden und alles Imaginäre methodisch sauber auf die Seite kommt, dasselbe Ergebnis erzielt wird. Damit stehen den Physikern zwei Paletten zur Verfügung, mit deren Farben sie das Bild der Atome malen können – jedem steht es frei, die Palette zu wählen, mit der er besser zurechtkommt. Schrödingers Wellengleichung schneidet dabei besser ab als Heisenbergs Matrizenrechnung, weil die Mathematik eine größere Menge Vorschriften bietet, in welcher Weise eine Gleichung der Art, wie Schrödinger sie als Beschreibung der Atome und ihres Lichts vorschlägt, zu lösen ist. Selbstverständlich stehen beide Versionen gleichberechtigt in den Lehrbüchern, die in diesem Zusammenhang gern vom Schrödinger- beziehungsweise vom Heisenberg-Bild der atomaren Wirklichkeit sprechen.
Das Wunderbare an der Existenz zweier Formen der Quantenmechanik lag nun darin, dass unmittelbar auf der Ebene der Mathematik zum Ausdruck kam, was den Physikern zuvor – allen voran Einstein – als extrem merkwürdig auf der Ebene der Erscheinungen selbst aufgefallen war: die Doppelnatur des Lichts und der Elektronen.
Bild 1
Die berühmte Schrödinger-Gleichung zur Beschreibung der atomaren Dynamik. Bei den verwendeten Symbolen fällt sofort das »i« auf, mit dem angezeigt wird, dass es sich um imaginäre Zahlen handelt.
Es fiel selbst Physikern wie Planck und Bohr schwer, diesen von Einstein als revolutionär eingeschätzten Gedanken zu akzeptieren. Schließlich meinten die Physiker seit mehr als hundert Jahren verstanden zu haben, was Licht ist, nämlich eine Wellenbewegung. Erst hatten sie gezeigt, dass Licht genau das kann, was man von einer Welle erwartet – sogenannte Interferenzerscheinungen zustande bringen, bei denen Licht plus Licht Dunkelheit ergibt –, dann konnten sie sogar zeigen, dass die Lichtwelle aus elektrischen und magnetischen Anteilen aufgebaut ist, die sich gegenseitig bedingen und hochschaukeln. Und auf einmal sollte das alles nicht mehr stimmen? Weil Einstein erklärte, dass diese Wellenvorstellung nur die Hälfte der Wahrheit enthält, und noch eins draufsetzte, indem er seinen Kollegen klarmachte, dass die Frage nach der Natur des Lichts niemals eine eindeutige Antwort bekommen wird? Licht
kann sowohl als Welle als auch als Teilchen in Erscheinung treten, es gibt keine Versuchsanordnung, in der beide Eigenschaften zugleich nachweisbar sind, und somit müssen wir uns bis heute mit der Janusköpfigkeit des Lichts bescheiden.
Die Kopenhagener Deutung
Bei den konkreten und gedanklichen Versuchen, die in dem verzweifelten Bemühen unternommen wurden, den Doppelcharakter sowohl von Licht als auch von Materie zu verstehen, tauchten zunächst weitere Undurchsichtigkeiten auf. Die Elektronen präsentierten den staunenden Physikern eine besonders heimtückische Variante der Doppelnatur: Raffinierte Experimente zeigten bald, dass ein Elektron, das beobachtet wird, etwas anderes ist als ein Elektron, das unbeobachtet bleibt. Damit ist Folgendes gemeint: Während sich beobachtete Elektronen als Dinge (Teilchen) erweisen, die man einzeln zählen kann – so wie man es erwartet –, zeigt sich, dass unbeobachtete Elektronen eher Wellen gleichen. Wenn man sie auf eine Wand zulaufen lässt, in der sich zwei Löcher befinden – in der Physik spricht man von einem Doppelspalt –, und erst nachsieht, wo die Elektronen sind, wenn sie die Wand längst passiert haben, dann lässt sich das dabei ermittelte Ergebnis nur verstehen, wenn man jedem einzelnen Elektron zubilligt, beide Wege durch beide Öffnungen genommen zu haben.
Seit Beginn des 19. Jahrhunderts wussten die Physiker, dass das Licht Interferenzerscheinungen zeigt. Das heißt, wenn die Strahlen, die von einer Lichtquelle ausgehen, so gelenkt werden, dass sie parallel
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