Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters
Experimentator« namens Wagner verkündet:
Neutron, es schwankt heran, / Masse, sie lastet dran, / Ladung, sie ist vertan, / Pauli, er glaubt daran.
Was den angesprochenen Teufel antworten lässt:
Gerettet ist das edle Glied / Der Geisterwelt vom Bösen. / Wer experimentierend sich bemüht, / Den können wir erlösen. / Und hat an ihm die Rechnung gar / Doch heimlich teilgenommen, / Begegnet ihm die edle Schar / Mit herzlichem Willkommen!
Zuvor war es natürlich um die bekannte Wette gegangen, bei der Mephisto (Pauli) versuchen sollte, dem Kopenhagener Faust (Ehrenfest) mit einer passenden Theorie den Augenblick zu verschaffen, in dem er verweilen und sich zufriedengeben möchte. Es gelang, wobei die Frage, was eine passende, zutreffende Theorie ist, nicht durch die Fachwelt, sondern – ganz modern – durch die Presse – Reporter und Fotografen – entschieden wurde. Faust starb mit den Worten:
Es bleibt die Spur von meinen Erdentagen / Doch in den Zeitungen bestehn! / Im Vorgefühl von solchem hohen Glück, / Genieß’ ich jetzt den höchsten Augenblick!
Und er wurde von den Presseleuten weggetragen.
Der »Geist von Kopenhagen«
Die neue, theoretisch ausgelegte und mathematisch operierende Form der Physik hatte vor allem nach den Vorarbeiten von Max Planck und Albert Einstein einen derartigen Aufschwung erlebt, dass es notwendig wurde, einen Ort zu haben, in dem man sich auf
diesen Bereich konzentrieren konnte, der bald eine Fortsetzung der Philosophie mit anderen – mathematischen – Mitteln zu werden versprach. Geholfen hatte bei dieser Entwicklung das Haus, das Bohr für seine Wissenschaft am Blegdamsvej eingerichtet hatte. Damit hatte jener – im Rückblick betrachtet – die Voraussetzungen für eine der grandiosen kulturellen Hervorbringungen des 20. Jahrhunderts geschaffen.
Diese durch Bohr geförderte Glanzleistung menschlichen Miteinanders in der Wissenschaft manifestiert sich in der Grundhaltung, die seit 1930 als »der Geist von Kopenhagen« in der Physik charakterisiert wird, wobei die Bezeichnung zum ersten Mal in einem Vortrag von Werner Heisenberg aus dieser Zeit auftaucht. Der »Geist von Kopenhagen« erlaubt, einen großen Bogen zu spannen und das Kopenhagen zu Bohrs Zeit mit dem Athen des Sokrates zu vergleichen. In beiden Fällen konnte sich der menschliche Geist in freier Entfaltung bei offenen Gesprächen mit immer neuen und gezielten Fragen zu einer ungeheuer produktiven Blüte aufschwingen.
Unter dem »Geist von Kopenhagen« versteht man unter anderem Bohrs Fähigkeit, eine Gruppe von unabhängigen Köpfen um sich zu versammeln, denen er einerseits alle Freiheiten einräumte und sie gerade dadurch produktiv werden ließ, während seine unermüdliche Neugier sie andererseits zugleich rastlos und unerbittlich beim Gegenstand der Physik hielt. Für Bohr konnte bei der Suche nach einer Erklärung für die Eigenschaften der Atome keine Ansicht verrückt genug sein, und er kommentierte manche vielen haarsträubend erscheinenden Vorschläge etwa zur Theorie von Elektronen mit dem Hinweis, sie seien noch nicht verrückt genug, um mit der Wirklichkeit in Einklang gebracht zu werden und zum allgemeinen Verständnis beizutragen.
Der »Geist von Kopenhagen« agierte streng und offen zugleich, und er vermittelte allen Besuchern und Mitarbeitern in Bohrs Haus der Theoretischen Physik das nachhaltige Gefühl, zu einer großen Bewegung in einem grandiosen Team beizutragen und historische Stunden nicht nur zu erleben, sondern auch zu gestalten. Der Einzelne fühlte sich als Teil des gemeinschaftlichen Unternehmens, das
ein tiefes und eindringliches Verständnis der atomaren Vorgänge liefern wollte und dies in den Jahren bis 1933 auch erreicht hat, als die Welt sich noch friedlich im Wettstreit übte und nicht wusste, welch einer kulturellen und politischen Katastrophe sie unter nationalsozialistischer deutscher Führung bald unweigerlich entgegenstreben würde.
Das herzliche Willkommen, von dem im Kopenhagener Faust die Rede war, wurde in den folgenden Jahren schwieriger in Kopenhagen. Bedingt war dies zum einen eben durch die politischen Entwicklungen in Deutschland, zum anderen durch die wissenschaftlichen Entdeckungen rund um den Atomkern, der von 1932 an mit Neutronen untersucht und im Winter 1938 schließlich zum ersten Mal gezielt gespalten werden konnte.
Der Geist war damit aus der Flasche, aber es war kein Geist von Kopenhagen mehr. In der dänischen Hauptstadt versammelten sich
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