Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters
»General Unsicherheit«, begrüßt worden.
»Unsicherheit« ist zwar besser als »Unschärfe«, aber worum es tatsächlich geht, kann durch keines der beiden Worte adäquat ausgedrückt werden. Was Heisenberg wirklich entdeckt hat, trägt den Namen »Unbestimmtheit«, und so verneinend dieses Wort auch klingt, es drückt paradoxerweise etwa Positives aus: dass wir doch etwas über das Elektron an sich oder irgendein atomares Ding an
sich wissen. Wir wissen seit Heisenberg, dass es da nichts zu wissen gibt. Das atomare Ding an sich, so stellte dieser fest, verfügt über nichts Bestimmtes. Ohne einen Beobachter sind seine Eigenschaften noch nicht bestimmt, es verfügt über nichts, das sich ermitteln ließe. Es stellt an sich keine Wirklichkeit dar, birgt aber alle Möglichkeiten in sich. Es wartet, bis jemand nachschaut und fragt, ob eine Eigenschaft vorhanden ist. Gehört das von außen Herangetragene zu den innen vorbereiteten Möglichkeiten, zeigt das atomare Ding, was es hat. Es gibt sich auf und lässt sich bestimmen – von uns. Der Vorschlag hat die Konsequenz, dass einem Ding an sich nicht mit den Mitteln der traditionellen Logik beizukommen ist. So schön die Alternative »Sein oder Nichtsein« auch klingt, es ist die falsche Frage am falschen Ort. Im Innersten der Welt gibt es das Dritte, das die Logik so gern ausschließen möchte, neben dem Sein und dem Nichtsein gibt es auch noch das Möglichsein. Bei seiner Beschreibung, bei der Aufzählung der Möglichkeiten, die das Ding an sich in sich trägt, mischt und verbindet sich, was so lange getrennt war, nämlich die materielle Seite der Objekte und die immaterielle (geistige) Seite der Subjekte.
Philosophen werfen Heisenberg häufig vor, seine Texte seien etwas schlicht. Sie übersehen, dass die Idee der Unbestimmtheit mehr Philosophie enthält, als die meisten der Kritiker vertragen und aushalten können. Der fünfundzwanzigjährige Heisenberg muss die ganze Zeit über, als er in Kopenhagen diesen Gedanken entwickelte, gewusst haben, was er tut: das Ding an sich nicht nur nebenbei konstatieren, sondern in mühsamer Kleinarbeit einkreisen. Er wusste aber zugleich auch, dass er bei dieser schweren Aufgabe nur mit physikalischen Argumenten bestehen konnte. Bei diesen Anstrengungen entstanden die berühmten Relationen, die oft als Quintessenz seiner Deutung der Quantentheorie vorgestellt werden.
Leider ist Heisenbergs Autobiographie an dieser Stelle eher zurückhaltend, und in den Briefen aus jenen Tagen ringt er vor allem mit den konkreten Fragen der Physik. Der zentrale Gedanke scheint ihm abermals in Zurückgezogenheit gekommen zu sein. Im Februar 1927 verließ Bohr Kopenhagen, um Skiurlaub in Norwegen zu
machen. Die Historiker begründen dies mit Erschöpfung. Die Diskussionen mit Heisenberg haben ihm mit Sicherheit viel abverlangt, darüber hinaus die Leitung des Instituts, die Betreuung der Doktoranden, das Halten von Vorlesungen und das Kümmern um die eigene Familie.
Als Bohr sich in Norwegen erholte – und das Skilaufen nutzte, um Klarheit über die Komplementarität zu gewinnen –, blieb Heisenberg »allein« in Kopenhagen zurück. Wie auf Helgoland war er nur mit sich und seinen inneren Bildern befasst, und seine Gedanken kreisten immer wieder um die Frage: »Was versteht man unter ›Ort des Elektrons‹?«
In einem ausführlichen Brief an Pauli von Ende Februar 1927, der die Grundlage für die spätere Publikation enthält, wendete Bohr die Frage schnell in die richtige Richtung, indem er sie durch eine andere ersetzte, die der Quantentheorie angemessen ist: »Wie bestimmt man den Ort eines Elektrons?« (Hervorhebung im Original) Im Grunde ist die Antwort einfach: »Man nehme etwa ein Mikroskop mit hinreichend gutem Auflösungsvermögen und schaue das Elektron an. Die Genauigkeit hängt von der Wellenlänge des Lichtes ab. Durch hinreichend kurzwelliges Licht lässt sich der Ort des Elektrons zu einer bestimmten Zeit... beliebig genau feststellen; das Gleiche kann durch Stöße von sehr schnellen Teilchen auf das Elektron erreicht werden.«
Bei dem geschilderten Zusammentreffen wird sich allerdings die Geschwindigkeit des fraglichen Elektrons ändern, wobei die Physiker lieber vom Impuls eines Partikels, also vom Produkt aus der Masse und der Geschwindigkeit, sprechen. In Heisenbergs Version der Quantentheorie gibt es sowohl für den Ort als auch für den Impuls eine Matrix, wobei es auf die Reihenfolge ihrer Anwendung ankommt. Dies
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