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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
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nicht darum quälen, daß ich verhext bin,« dachte der Junge.
    Das einzige, wovor er sich fürchtete, war, daß er nach Hause geschickt werden würde, aber auch am Mittwoch sagten die Gänse
     nichts davon, daß er reisen solle. Dieser Tag verging in gleicher Weise wie der Dienstag, und das Leben in der Wildnis gefiel
     dem Jungen immer besser. Er meinte, er habe den einsamen Park von Övedkloster, der so groß war wie ein Wald, ganz für sich
     allein, und er sehnte sich nicht zurück nach dem engen Haus und den kleinen Feldern daheim.
    Am Mittwoch glaubte er, daß die wilden Gänse die Absicht hatten, ihn bei sich zu behalten, aber am Donnerstag gab er die Hoffnung
     wieder auf.
    Der Donnerstag begann in derselben Weise wie die andern Tage. Die Gänse weideten auf den großen Feldern, und der Junge suchte
     sich Nahrung im Park. Als er dort eine Weile gewesen war, kam Akka zuihm hin und fragte, ob er etwas Eßbares gefunden habe. Nein, er hatte nichts gefunden, und da suchte sie ihm eine welke Kümmelpflanze,
     die alle ihre kleinen Früchte noch unversehrt bei sich trug.
    Nachdem der Junge gegessen hatte, sagte Akka, sie fände, er laufe zu kühn im Park herum. Ob er wohl wisse, vor wie vielen
     Feinden er sich in acht nehmen müsse, er, der so klein sei. Nein, das wußte er nicht, und dann begann Akka, sie ihm aufzuzählen.
    Wenn er in den Wald ging, sagte sie, müsse er sich vor dem Fuchs und dem Marder in acht nehmen, wenn er an den See hinabkam,
     müsse er an die Ottern denken, saß er auf dem Steinwall, dürfe er das Wiesel nicht vergessen, das durch die kleinsten Löcher
     schlüpfen könne, und wenn er sich in einem Haufen welker Blätter zur Ruhe legen wollte, müsse er erst nachsehen, ob nicht
     die Natter ihren Winterschlaf in demselben Blätterhaufen halte. Sobald er auf das offene Feld hinauskam, müsse er auf Habicht
     und Bussard, auf Adler und Falken achten, die alle oben in den Wolken schwebten. Im Nußholz könne er von dem Sperber gefangen
     werden; Elstern und Krähen gab es überall, und denen sollte er nicht zu sehr trauen, und sobald die Dämmerung hereinbrach,
     müsse er die Ohren gut aufmachen und nach den großen Eulen horchen, die mit so lautlosem Flügelschlag geflogen kommen, daß
     sie ihm ganz nahe kommen konnten, ehe er sie bemerkte.
    Als der Junge hörte, daß es so viele gab, die ihm nach dem Leben trachteten, konnte er wohl einsehen, daß er es ganz unmöglich
     behalten durfte. Er fürchtetesich nicht so schrecklich davor, zu sterben, aber er hatte keine Lust, aufgefressen zu werden, und deswegen fragte er Akka,
     was er tun könne, um sich gegen die Raubmörder zu schützen.
    Akka antwortete sogleich, der Junge müsse sehen, gut Freund zu werden mit dem kleinen Tiervolk in Feld und Wald, mit dem Eichhörnchenvolk
     und dem Hasenvolk, mit Finken und Meisen und Spechten und Lerchen. Hätte er die zu Freunden, so konnten sie ihn vor Gefahren
     warnen, ihm Schlupfwinkel verschaffen und bei drohender Gefahr konnten sie sich zusammenrotten und ihn verteidigen.
    Aber als der Junge späterhin am Tage den Rat befolgen wollte und sich an Sirle, das Eichhörnchen, wandte, um seine Hilfe zu
     erbitten, stellte es sich heraus, daß das Eichhörnchen ihm nicht helfen wollte. »Nein, weiß Gott, du hast nichts Gutes von
     mir oder den andern kleinen Tieren zu erwarten,« sagte Sirle. »Meinst du, wir wissen nicht, daß du der Gänsejunge Niels bist,
     der im vorigen Jahr Schwalbennester herunterholte, Stareneier zerschlug, junge Krähen in die Mergelgrube warf, Drosseln und
     Dohlen fing und Eichkätzchen in ein Bauer steckte. Du mußt dir selbst helfen, so gut du kannst, und du mußt dich freuen, daß
     wir uns nicht gegen dich zusammenrotten und dich zu deinesgleichen nach Hause jagen!«
    Diese Antwort war gerade von der Art, wie sie der Junge, als er noch der Gänsejunge Niels gewesen, nie ungestraft gelassen
     hätte, aber nun war er bange, daß auch die wilden Gänse erfahren könnten, wie schlimmer gewesen war. Er hatte sich davor gefürchtet, nicht bei den wilden Gänsen bleiben zu dürfen, daß er es gar nicht gewagt
     hätte, dumme Streiche zu machen, nachdem er in ihre Gesellschaft geraten war. Er konnte ja freilich nicht viel Schaden anrichten,
     so klein, wie er war, aber er hätte ja doch viele Vogelnester zerstören und viele Eier zerschlagen können, wenn er Lust dazu
     gehabt hätte. Aber nun war er so brav gewesen, er hatte nicht eine einzige Feder aus einem Gänseflügel

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