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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
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er.
    Das hatte er ja tun wollen, aber jetzt, wo er die erhellten Fenster sah, war die Angst vor der Dunkelheit überwunden. Dahingegen
     empfand er von neuem die Scheu, die ihn immer in der Nähe der Menschen befiel. »Ich will mich ein wenig mehr im Dorf umsehen,«
     dachte er, »ehe ich jemand um Einlaß bitte.«
    An einem der Häuser war ein Balkon. Und gerade als der Junge vorüberging, wurden die Balkontüren geöffnet und gelber Lichtschimmer
     drang durch seine, leichte Gardinen. Und dann trat eine hübsche junge Frau auf den Balkon hinaus und lehnte sich über das
     Geländer: »Es regnet, jetzt bekommen wir Frühling,« sagte sie. Als der Junge sie sah, wurde ihm so sonderbar beklommen ums
     Herz. Er war nahe daran, zu weinen. Zum erstenmal überkam ihn ein unheimliches Gefühl, weil er sich von den Menschen ausgeschlossen
     hatte.
    Bald darauf kam er an einem Kaufmannsgeschäftvorüber. Draußen vor dem Laden stand eine rote Säemaschine. Er blieb stehen und betrachtete sie, und kroch schließlich auf
     den Kutschersitz, auf den er sich niedersetzte. Als er dahinauf gekommen war, schnalzte er mit der Zunge und tat so, als säße
     er dort und führe. Er dachte daran, wie amüsant es sein würde, auf so einer feinen Maschine über ein Feld zu fahren. Einen
     Augenblick hatte er vergessen, wie er nun war, aber dann fiel es ihm wieder ein, und er sprang schnell von der Maschine herunter.
     Er wurde immer unruhiger. Da war doch gar mancherlei, worauf derjenige verzichten mußte, der immer unter den Tieren leben
     wollte. Die Menschen waren sowohl eigentümlich als auch tüchtig.
    Er kam an der Post vorüber, und da dachte er an alle die Zeitungen, die jeden Tag mit Neuigkeiten aus allen Ecken der Welt
     anlangten. Er sah die Apotheke und die Doktorwohnung, und er dachte daran, wie groß die Macht der Menschen war, daß sie Krankheit
     und Tod bekämpfen konnten. Er kam an die Kirche und dachte daran, daß sie von Menschen erbaut sei, damit sie dort Reden hören
     konnten über eine Welt außer der, in der sie lebten, und über Gott und Auferstehung und das ewige Leben. Und je länger er
     dort ging, um so lieber wurden ihm die Menschen.
    Kinder sind nun einmal so, daß sie nicht weiter denken als von der Nase bis zum Mund. Was gerade vor ihren Augen liegt, wollen
     sie sogleich haben, ohne sich daran zu kehren, was es ihnen kosten kann. Niels Holgersen hatte keinen Verstand davon gehabt,
     was er verlor, als er es vorzog, Kobold zu bleiben, jetzt überkamihn jedoch eine furchtbare Angst, daß er vielleicht nie wieder seine wahre Gestalt erlangen würde.
    Wie in aller Welt sollte er es anfangen, wieder Mensch zu werden? Das hätte er wirklich gern gewußt.
    Er kletterte auf eine Treppe hinauf und setzte sich hin, um mitten in dem strömenden Regen nachzudenken. Dort saß er eine
     Stunde, zwei Stunden, und er sann und dachte, so daß er Runzeln auf der Stirn davon bekam. Aber er wurde deswegen nicht klüger.
     Es war, als wenn die Gedanken ihm nur rund im Kopf herumliefen. Je länger er dasaß, um so unmöglicher erschien es ihm, eine
     Lösung zu finden.
    »Dies hier ist gewiß zu schwer für jemand, der so wenig gelernt hat wie ich,« dachte er schließlich. »Ich muß am Ende doch
     wohl zu den Menschen zurückgehen. Ich werde wohl den Pfarrer und den Doktor und den Schullehrer und andere gelehrte Leute
     fragen müssen, die wissen, was gegen so etwas hilft.«
    So beschloß er denn, dies sogleich zu tun, und er erhob sich und schüttelte sich, denn er war so naß wie eine ertrunkene Maus.
    Im selben Augenblick sah er eine große Eule daherfliegen und sich auf einen der Bäume setzen, die an der Straße entlang standen.
     Gleich darauf begann eine Horneule, die unter dem Dachfirst saß, sich zu rühren und zu rufen: »Quiwitt, quiwitt! Bist du wieder
     da, Sumpfeule? Wie ist es dir denn im Ausland ergangen?«
    »Hab' Dank, Horneule! Mir ist es gut gegangen,«sagte die Sumpfeule, »Hat sich hier in der Heimat etwas Besonderes zugetragen, seit ich fort war?«
    »Nicht hier in Bleking, Sumpfeule, aber in Schonen geschah es; daß ein Junge von einem Kobold verhext wurde und so klein gemacht
     worden ist wie ein Eichhörnchen, und dann ist er mit einer zahmen Gans nach Lappland gereist.«
    »Das ist doch eine merkwürdige Nachricht, eine merkwürdige Nachricht. Kann er denn nie wieder ein Mensch werden, Horneule?
     Kann er nie wieder ein Mensch werden?«
    »Das ist ein Geheimnis, Sumpfeule, aber ich will es dir

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