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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
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Jetzt kommt jemand, der euch weckt! Jetzt habt ihr lange
     genug gefaulenzt.«
    Wenn sie Leute sahen, die sich beeilten, ins Haus zu kommen, tadelten sie sie und sagten: »Weshalb habt ihr es so eilig? Seht
     ihr denn nicht, daß es Feinbrot und Spießkuchen regnet, Feinbrot und Spießkuchen!«
    Da war eine große, dichte Wolke, die sich schnell nach Norden zu bewegte und dicht hinter den Gänsen her segelte. Fast glaubten
     sie, daß sie die Wolke mit sich zögen, und da sie gerade jetzt große Gärten unter sich gewahrten, riefen sie ganz stolz: »Hier
     kommen wir mit Anemonen, hier kommen wir mit Rosen, hier kommen wir mit Apfelblüten und Kirschenknospen, hier kommen wir mit
     Erbsen und Bohnen, hier kommen wir mit Rüben und Kohl. Nehme es entgegen, wer da will! Nehme es entgegen, wer da will!«
    Nach dieser Melodie ging es, während die ersten Schauer fielen, als alle noch froh über den Regen waren.Aber als er den ganzen Nachmittag anhielt, wurden die Gänse ungeduldig und riefen den durstigen Wäldern um den Ivösee zu:
     »habt ihr noch nicht bald genug? Habt ihr noch nicht bald genug?«
    Der Himmel wurde mehr und mehr grau überzogen, und die Sonne verkroch sich so gut, daß niemand begreifen konnte, wo sie geblieben
     war. Der Regen fiel dichter, peitschte hart gegen die Flügel und bahnte sich einen Weg zwischen den tranigen Außenfedern hindurch,
     bis ganz auf den Leib hinein. Die Erde war von einem Regennebel verhüllt; Seen, Berge und Wälder flössen zusammen in einem
     undeutlichen Wirrwarr, und man konnte die Wegezeichen nicht erkennen. Der Flug wurde langsamer und langsamer, die munteren
     Rufe verstummten, und der Junge fühlte die Kälte immer bitterer.
    Aber er hielt trotzdem den Mut aufrecht, so lange er durch die Luft dahinritt. Und am Nachmittage, als sich die Gänse unter
     einer kleinen verkrüppelten Fichte mitten in einem großen Moor niedergelassen hatten, wo alles naß und alles kalt war, wo
     einige von den Erderhöhungen mit Schnee bedeckt waren und andere kahl aus einer Lache halbgeschmolzenen Eiswassers aufragten,
     da fühlte er sich auch nicht keineswegs verzagt, sondern lief in fröhlicher Laune umher und suchte nach Moosbeeren und gefrorenen
     Kronsbeeren.
    Aber dann kam der Abend, und die Dunkelheit senkte sich so dicht herab, daß nicht einmal Augen wie die des Jungen sie durchdringen
     konnten und die Einöde wurdeso sonderbar häßlich und unheimlich. Der Junge lag unter den Flügel des Gänserichs eingebettet, aber er konnte nicht schlafen,
     kalt und naß, wie er war. Und er hörte so ein Pusseln und Rascheln und schleichende Schritte und drohende Stimmen, ihm wurde
     so bange, er wußte nicht, was er anfangen sollte. Er mußte dahin, wo Feuer und Licht war, wenn er nicht vor Angst umkommen
     sollte.
    »Ob ich mich für diese eine Nacht zu den Menschen hinwagen soll?« dachte der Junge. »Wenn ich nur ein wenig beim Feuer sitzen
     und etwas zu essen bekommen könnte. Ich könnte ja vor Sonnenaufgang zu den wilden Gänsen zurückkehren.«
    Er kroch unter dem Flügel hervor und ließ sich auf die Erde niedergleiten. Er weckte weder den Gänserich noch eine der anderen
     Gänse, sondern schlich still und unbemerkt über das Moor.
    Er ahnte nicht, wo in aller Welt er war, ob in Schonen, in Smaaland oder in Bleking. Aber kurz bevor sie in das Moor heruntergeflogen
     waren, hatte er einen Schimmer von einem Dorf gesehen, und dahin wandte er nun seine Schritte. Es währte auch nicht lange,
     bis er einen Weg entdeckte, und bald befand er sich auf der Dorfstraße, die lang und mit Bäumen bepflanzt war, und zu deren
     beiden Seiten Häuser lagen.
    Der Junge war in eins der großen Kirchdörfer gekommen, deren es oben im Lande so viele gibt, während man unten in der Ebene
     keine davon antrifft.
    Die Häuser waren aus Holz und sehr zierlich gebaut.Die meisten hatten Giebel und Frontespize mit einem Rande aus geschnitzten Holzleisten, und Glasveranden mit einer bunten
     Fensterscheibe hier und da. Sie waren mit heller Ölfarbe gestrichen, Türen und Fensterpfosten schimmerten grün und blau, ja,
     sogar rot. Während der Junge so dahinging und die Häuser betrachtete, konnte er draußen auf dem Wege hören, wie die Leute,
     die in den warmen Stuben saßen, schwatzten und lachten. Die Worte konnte er nicht unterscheiden, aber er fand, es war schön,
     Menschenstimmen zu hören: »Ich möchte wohl wissen, was sie sagen würden, wenn ich anklopfte und um Einlaß bäte,« dachte

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