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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
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halb fliegend, halb tanzend. Die Flügel anmutig erhoben, bewegten
     sie sich mit unbegreiflicher Schnelligkeit. Es lag etwas Seltsames und Fremdes über ihrem Tanz. Es war, als spielten graue
     Schatten ein Spiel, dem die Augen kaum zu folgen vermochten. Es war, als hätten sie es von den Nebeln gelernt, die über den
     einsamen Mooren schweben. Es lag Zauberei darin. Alle, die noch nie auf dem Kullaberge gewesen waren, begriffen, warum die
     ganze Zusammenkunft ihren Namen nach dem Tanz der Kraniche hatte. Es lag Wildheit darüber, aber das Gefühl, das es wachrief,
     war trotzdem eine sanfte Sehnsucht. Niemand dachte jetzt mehr daran, zu kämpfen. Aber statt dessen empfanden alle, die Beschwingten
     und die, so da keine Schwingen hatten, ein Sehnen, unendlich hoch emporzusteigen, sich über die Wolken zu erheben, das zu
     suchen, was dahinter war, den beschwerenden Körper abzuwerfen, der zur Erde niederzog, und zu dem Überirdischen emporzuschweben.
    Eine solche Sehnsucht nach dem Unerreichbaren, nach dem, was sich hinter dem Leben verbirgt, empfandendie Tiere nur einmal im Jahre, nämlich an dem Tage, wo sie den großen Kranichtanz sahen.

VI. Im Regenwetter
    Mittwoch, den 30. März.
    Es war der erste Regentag auf der Reise. Während der ganzen Zeit, die sich die wilden Gänse in der Gegend des Bombsees aufgehalten,
     hatten sie gutes Wetter gehabt, aber an demselben Tage, als sie die Reise gen Norden antraten, fing es an zu regnen, und der
     Junge mußte mehrere Stunden ganz durchnäßt und zähneklappernd vor Kälte auf dem Ganserücken sitzen. Am Morgen, als sie von
     dannen zogen, war es still und klar. Die wilden Gänse flogen hoch oben in der Luft, gleichmäßig und ohne Hast, in strenger
     Ordnung, mit Akka an der Spitze, und die übrigen in zwei schrägen Reihen hinter ihr drein. Sie ließen sich keine Zeit, die
     Tiere auf dem Felde zu necken, da sie aber nicht imstande waren, sich ganz ruhig zu verhalten, fangen sie die ganze Zeit im
     Takt mit den Flügelschlägen ihren gewöhnlichen Lockruf: »Wo bist du? Hier bin ich. Wo bist du? Hier bin ich.«
    Sie riefen alle gleich eifrig, und sie hielten nur hin und wieder inne, um den weißen Gänserich auf die Wegezeichen aufmerksam
     zu machen, nach denen sie ihren Kurs nahmen. Auf dieser Reise bestanden die Zeichen aus den kahlen Hügeln des Linderoder Abhanges,dem Schloß Ovesholm, dem Kristianstädter Kirchturm, der Königsburg Backaskog auf der schmalen Landzunge zwischen dem Omannasee
     und dem Ivösee und aus dem steilen Abhang des Ryßberges.
    Es war eine einförmige Reise, und als die Regenwolken sich zusammenzogen, schien es dem Jungen geradezu, als sei dies eine
     Abwechslung. In alten Zeiten, als er die Regenwolken nur von unten gesehen hatte, fand er, daß sie grau und langweilig waren,
     aber es war etwas ganz anderes, oben zwischen ihnen zu fein. Jetzt konnte er deutlich sehen, daß die Wolken mächtige Frachtwagen
     waren, die mit wolkenhohen Fudern am Himmel entlang fuhren: einige von ihnen waren mit großen grauen Säcken beladen, andere
     mit Tonnen, die so groß waren, daß sie einen ganzen See fassen konnten, und wieder andere mit großen Kübeln und Flaschen,
     die zu einer gewaltigen Höhe aufgestapelt waren. Und als so viele Wagen dahergefahren waren, daß sie den ganzen Himmelsraum
     füllten, war es, als gäbe einer ein Zeichen, denn auf einmal fing es an, aus Kübeln, Tonnen, Flaschen und Säcken Wasser auf
     die Erde hinab zu strömen.
    In demselben Augenblick, als die ersten Frühlingsschauer auf die Erde niederschlugen, stimmten alle Vögel in Hainen und Buschwerken
     ein solches Freudengeschrei an, daß die ganze Luft davon widerhallte, so daß der Junge zusammenzuckte. »Jetzt bekommen wir
     Regen, der Regen bringt uns den Frühling, der Frühling bringt uns Blumen und grüne Blätter, und Blumen bringen uns Larven
     und Insekten, Larven undInsekten bringen uns Essen, und gutes Essen ist das beste, was es gibt,« sangen die kleinen Vögel.
    Auch die wilden Gänse freuten sich über den Regen, der kam, um die Pflanzen aus ihrem Schlaf zu erwecken und Löcher in die
     Eisdecke auf den Seen zu schlagen. Sie konnten nicht auf die Dauer so ernsthaft sein wie bisher, sondern ließen lustige Rufe
     über die Gegend unter ihnen erschallen.
    Als sie über die großen Kartoffelfelder flogen, von denen es so viele in der Umgegend von Kristianstad gibt, und die noch
     kahl und schwarz dalagen, riefen sie: »Wacht auf und schafft Nutzen!

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