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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
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Gebäuden auf der Werft zu sehen, denn Akka ließ sich auf einem der beiden flachen Kirchtürme nieder.
    Das war ja freilich ein sicherer Ort für jemand, der einem Fuchs entkommen wollte, und der Junge meinte, diese Nacht könne
     er gewiß ruhig unter den Flügel des Gänserichs schlüpfen. Ja, das konnte er wohl, es würde gut tun, ein wenig zu schlafen.
     Sobald es hell wurde, wollte er versuchen, etwas mehr von der Werft und von den Schiffen zu sehen.
    Der Junge fand es selber wunderlich, daß er sich nicht ruhig verhalten und den nächsten Morgen abwarten konnte, bis er die
     Schiffe sah. Er hatte wohl kaum fünf Minuten geschlafen, als er schon unter dem Flügel hervorkroch und an dem Blitzableiter
     und den Dachrinnen auf die Straße hinabglitt.
    Bald stand er auf einem großen Marktplatz, der vor der Kirche lag. Er war mit spitzigen Steinen gepflastert, und es war für
     ihn ebenso schwer dort zu gehen wie für Erwachsene auf einer Wiese voller Erderhöhungen.Leuten, die in der Einöde hausen oder weit draußen auf dem Lande wohnen, wird immer unheimlich zumute, wenn sie in eine Stadt
     kommen, wo die Häuser schnurgerade stehen und die Straßen offen liegen, so daß ein jeder den sehen kann, der darin geht. Und
     so erging es jetzt dem Jungen. Als er auf dem großen Karlskronaer Marktplatz stand, und die deutsche Kirche und das Rathaus
     und die große Kirche sah, von der er eben herabgestiegen war, da konnte er sich nicht enthalten, zu wünschen, daß er wieder
     oben auf dem Turm bei den Gänsen sein könne.
    Zum Glück war es ganz leer auf dem Marktplatz. Da war kein Mensch, wenn man nicht eine Statue mitrechnen will, die auf einem
     erhöhten Sockel stand. Der Junge sah die Statue lange an, sie stellte einen großen, starkknochigen Mann dar mit dreieckigem
     Hut, langem Rock, Kniehosen und dicken Schuhen. Er grübelte nach, wer das wohl sein könne. Der Mann hatte einen langen Stock
     in der Hand und sah auch wohl aus, als ob er ihn gebrauchen könne, denn er hatte ein schrecklich strenges Gesicht mit einer
     großen, krummen Nase und einem häßlichen Mund.
    »So eine Langlippe!« sagte der Junge. »Was will der Kerl hier?« Nie war er sich selbst so klein und elend vorgekommen wie
     an diesem Abend. Er suchte sich Mut zu machen, indem er ein flottes Wort sagte. Dann dachte er nicht mehr an die Statue, sondern
     ging eine breite Straße hinab, die an die See führte.
    Aber er war noch nicht weit gegangen, als er hörte, daß jemand hinter ihm drein kam. Es ging einer hinterihm und stampfte mit schweren Schritten und stieß mit einem eisenbeschlagenen Stock hart auf das Pflaster. Es klang so, als
     sei es der große Bronzemann vom Marktplatz selber, der sich auf die Wanderschaft begeben hatte.
    Der Junge lauschte den Schritten, während er die Straße hinabging, und er wurde immer mehr davon überzeugt, daß es der Bronzemann
     war. Die Erde bebte und die Häuser zitterten. Kein anderer als er konnte so schwer auftreten, und der Junge wurde bange und
     dachte daran, was er eben noch zu ihm gesagt hatte. Er wagte nicht, den Kopf umzudrehen, um zu sehen, ob er es wirklich sei.
    »Vielleicht geht er nur zu seinem Vergnügen spazieren,« dachte der Junge. »Er kann doch unmöglich böse auf mich sein, weil
     ich das vorhin sagte. Ich habe ja nichts Böses damit gemeint.«
    Statt geradeaus zu gehen und den Versuch zu machen, zur Werft hinabzugelangen, bog der Junge in eine Straße ein, die nach
     Osten führte. Vor allen Dingen mußte er dem entkommen, der ihm folgte.
    Aber gleich darauf hörte er den Bronzemann in dieselbe Straße einbiegen, und der Junge wurde so bange, daß er sich nicht zu
     helfen wußte. Und wie schwer war es doch, ein Versteck in einer Stadt zu finden, wo alle Türen geschlossen waren! Da sah er
     zu seiner Rechten eine alte hölzerne Kirche, die ein wenig abseits von der Straße in einer großen Gartenanlage lag. Er besann
     sich keinen Augenblicks sondern stürzte auf die Kirchezu. »Gelange ich nur dahin, so bin ich gegen alles Böse beschützt,« dachte er.
    Wie er so davonlief, gewahrte er Plötzlich einen Mann, der mitten im Kiesgang stand und ihm zuwinkte. »Das ist gewiß einer,
     der mir helfen will,« dachte der Junge, freute sich sehr und eilte dahin. Er war wirklich so bange, daß ihm das Herz heftig
     in der Brust schlug.
    Aber als er zu dem Manne hinkam, der auf einem Sockel hart an dem Kiesgang stand, wurde er ganz stutzig. »Der kann mir doch
     nicht gewinkt haben,«

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