Niemalsland
unterstellte Richard, er würde ihn ›auf den Arm nehmen‹, und schmollte auf der ganzen fünfminütigen Fahrt bis zum Strand. Richard kümmerte das nicht. Er gab dem Mann trotzdem ein unglaublich hohes Trinkgeld.
Und dann ging er in sein Büro.
Als er das Gebäude betrat, spürte er, wie das Lächeln aus seinem Gesicht verschwand. Mit jedem Schritt wurde er ängstlicher, beklommener. Was, wenn er noch immer keinen Job mehr hatte? Was, wenn kleine, schokoladenverschmierte Kinder und Taxifahrer ihn sehen konnten, er jedoch für seine Kollegen unsichtbar blieb? Was, wenn …
Mr. Figgis, der Pförtner, schaute von einem Sexy-Lolitas-Club- Heft auf, das er in seiner Sun versteckt hatte, und er schniefte.
»Morgen, Mister Mayhew«, sagte er. Es war kein einladendes ›Morgen‹. Es war ein ›Morgen‹, das besagte, daß es dem Sprecher gleichgültig war, ob der Empfänger lebte oder starb – ganz zu schweigen davon, ob es überhaupt Morgen war.
»Figgis!« rief Richard vergnügt. »Auch Ihnen einen guten Morgen, Mister Figgis, Sie Ausnahmeportier!«
Niemand hatte je so etwas zu Mr. Figgis gesagt, nicht einmal die nackten Damen seiner Fantasie. Er starrte Richard mißtrauisch an, bis er im Aufzug war und aus dem Blickfeld verschwand. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder den sexy Lolitas zu, von denen, wie ihm langsam der Verdacht kam, keine unter neunundzwanzig war, Lollis hin, Lollis her.
Richard stieg aus dem Aufzug und ging zögernd den Korridor entlang.
Alles wird gut, sagte er sich, wenn bloß mein Schreibtisch da ist. Wenn mein Schreibtisch da ist, wird alles gut.
Er betrat das Großraumbüro, in dem er drei Jahre lang seinem Job nachgegangen war. Menschen arbeiteten an Schreibtischen, führten Telefongespräche, wühlten in Aktenschränken, tranken schlechten Tee und noch schlechteren Kaffee. Es war sein Büro.
Und da war die Stelle am Fenster, wo einmal sein Schreibtisch gestanden hatte, die jetzt von einer grauen Ansammlung von Aktenschränken und einer Yucca-Palme eingenommen wurde.
Er wollte sich gerade umdrehen und weglaufen, als ihm jemand einen Styroporbecher mit Tee reichte.
»Die Rückkehr des verlorenen Sohns, he?« sagte Garry. »Hier, nimm.«
»Hallo, Garry«, sagte Richard. »Wo ist mein Schreibtisch?«
»Hier entlang«, antwortete Garry. »Wie war’s denn so auf Mallorca?«
»Mallorca?«
»Fährst du nicht immer nach Mallorca?« fragte Garry. Sie gingen die Treppe hinauf, die zum dritten Stock führte.
»Diesmal nicht«, erwiderte Richard.
»Ich wollt’ schon sagen«, sagte Garry. »Braun bist du nicht gerade geworden.«
»Nein«, pflichtete Richard ihm bei. »Na ja. Du weißt schon. Ich hatte mal ein bißchen Veränderung nötig.«
Garry nickte. Er deutete auf eine Tür, die, solange Richard dort arbeitete, die Tür zum Raum für die Chefakten und das Büromaterial gewesen war.
»Eine Veränderung? Tja, die hast du jetzt jedenfalls. Und darf ich der erste sein, der dir gratuliert?«
Auf dem Türschild stand:
R. B. MAYHEW
JUNIORPARTNER
»Herzlichen Glückwunsch«, wiederholte Garry. Er zog ab, und Richard ging in sein Büro.
Es war sein Schreibtisch. Seine Trolle lagen alle fein säuberlich in einer Schreibtischschublade, und er nahm sie alle heraus und verteilte sie im Büro. Er hatte ein eigenes Fenster mit einem schönen Blick auf den Fluß und die South Bank. Es gab sogar eine große Grünpflanze mit riesigen wächsernen Blättern, eine von der Sorte, die künstlich aussieht, es aber nicht ist. Sein altes cremefarbenes Computerterminal war durch ein viel eleganteres schwarzes ersetzt worden, das auf dem Schreibtisch weniger Platz wegnahm.
Er schaute aus dem Fenster, während er seinen Tee trank. »Und, sind Sie mit allem zufrieden?«
Er blickte auf. Frischgestärkt und effizient stand Sylvia, die Chefsekretärin, in der Tür. Sie lächelte, als sie ihn sah.
»Ähm. Ja. Hören Sie, ich muß noch zu Hause ein paar Dinge erledigen … meinen Sie, ich könnte mir den Rest des Tages freinehmen und – «
»Ganz wie Sie wollen. Sie müssen ohnehin eigentlich erst morgen wieder hier sein.«
»Ja?« fragte er. »Gut.«
Sylvia runzelte die Stirn. »Was ist denn mit Ihrem Finger passiert?«
»Den hab’ ich mir gebrochen«, erklärte er.
Sie schaute besorgt seine Hand an. »Sie sind doch wohl nicht in eine Schlägerei geraten, oder?«
»Ich?«
Sie grinste. »Ich wollte Sie nur aufziehen. Ich nehme an, Sie haben ihn in der Tür eingeklemmt. So war’s
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