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Niemalsland

Titel: Niemalsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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Kiste mit seiner Kleidung und packte sie aus, die anderen jedoch blieben mitten im Zimmer stehen. Von Tag zu Tag bekam er ein schlechteres Gewissen, weil er sie nicht auspackte. Aber er tat es trotzdem nicht.
    Er saß in seinem Büro am Schreibtisch und starrte aus dem Fenster, als die Gegensprechanlage summte. »Richard? « sagte Sylvia. »Der Chef hat in zwanzig Minuten in seinem Büro ein Meeting anberaumt, um den Wandsworth-Bericht zu besprechen.«
    »Ich komme«, sagte er.
    Dann nahm er, weil er die nächsten zehn Minuten nichts anderes zu tun hatte, einen orangen Troll und bedrohte einen ein wenig kleineren grünhaarigen Troll damit.
    »Ich bin der größte Krieger von Unter-London. Mach dich auf den sicheren Tod gefaßt!« sagte er mit gefährlich trolliger Stimme und wackelte mit dem orangen Troll. Dann nahm er den grünhaarigen Troll und sagte: »Aha! Aber erst trinkst du eine schöne Tasse Tee …«
    Jemand klopfte an die Tür, und schlechten Gewissens stellte er die Trolle wieder hin.
    »Herein!«
    Die Tür ging auf, und Jessica kam herein und blieb im Türrahmen stehen. Sie sah nervös aus.
    Er hatte vergessen, wie schön sie war.
    »Hallo, Richard«, sagte sie.
    »Hallo, Jess«, sagte Richard, und dann verbesserte er sich. »Entschuldigung – Jessica.«
    Sie lächelte und warf die Haare zurück. »Oh, Jess ist in Ordnung«, sagte sie und sah aus, als würde sie das beinahe ernst meinen. »Jessica – Jess. Mich hat schon ewig keiner mehr Jess genannt. Ich vermisse es beinahe.«
    »Und«, sagte Richard, »was bringt, welche Ehre, dich her, ähm.«
    »Ich wollte dich eigentlich nur sehen.«
    Er wußte nicht recht, was er sagen sollte. »Das ist nett«, sagte er.
    Sie schloß die Bürotür und ging ein paar Schritte auf ihn zu. »Richard. Weißt du was? Es ist seltsam, aber ich erinnere mich, die Verlobung gelöst zu haben. Ich weiß jedoch kaum noch, worüber wir uns gestritten haben.«
    »Nein?«
    »Das ist allerdings auch gar nicht wichtig. Oder?« Sie schaute sich im Büro um. »Du bist befördert worden.«
    »Ja.«
    »Das freut mich für dich.« Sie griff in ihre Manteltasche und zog eine kleine braune Schachtel hervor. Sie stellte sie auf Richards Schreibtisch.
    Er öffnete die Schachtel, obgleich er wußte, was darin war.
    »Das ist unser Verlobungsring. Ich dachte, nun ja, vielleicht gebe ich ihn dir zurück und dann, also, wenn alles wieder in Ordnung käme, na ja, vielleicht würdest du ihn mir eines Tages wiedergeben.«
    Er glitzerte im Sonnenlicht: Der größte Betrag, den er je für etwas ausgegeben hatte.
    Er schloß die Schachtel und gab sie ihr zurück.
    »Behalte du ihn, Jessica«, sagte er. Und dann: »Es tut mir leid.«
    Sie biß sich auf die Unterlippe. »Hast du jemanden kennengelernt?«
    Er zögerte. Er dachte an Lamia und Hunter und Anaesthesia und sogar an Door, doch keine von denen war in dem Sinne ein Jemand, wie sie es meinte.
    »Nein. Niemand anders«, sagte er. Und dann sagte er und bemerkte gleichzeitig, daß es wahr war: »Ich habe mich nur verändert, mehr nicht.«
    Seine Gegensprechanlage summte. »Richard? Wir warten auf Sie.«
    Er drückte auf den Knopf. »Komme sofort, Sylvia.« Er sah Jessica an.
    Sie sagte nichts. Vielleicht traute sie es sich nicht zu, noch etwas zu sagen. Sie ging hinaus, und sie schloß leise die Tür hinter sich.
    Richard nahm mit einer Hand die Papiere, die er brauchen würde. Mit der anderen Hand fuhr er sich übers Gesicht, als ob er etwas wegwischte: Kummer vielleicht, oder Tränen, oder Jessica.
    Er begann wieder mit der U-Bahn zur Arbeit und zurück zu fahren. Allerdings kaufte er sich morgens und abends keine Zeitungen mehr. Lieber musterte er die Gesichter der anderen Leute im Zug und fragte sich, ob sie alle aus Ober-London stammten, fragte sich, was hinter ihren Augen vorging. Ein paar Tage nach seiner Begegnung mit Jessica glaubte er in der abendlichen Rush-hour Lamia am anderen Ende des Waggons zu sehen, mit dem Rücken zu ihm, die dunklen Haare hochgesteckt und das Kleid lang und schwarz. Sein Herz begann in seiner Brust zu hämmern.
    Er drängelte sich durch das voll besetzte Abteil. Als er näher kam, fuhren sie in eine Haltestelle ein, und sie stieg aus. Doch es war nicht Lamia: bloß so ein junges Londoner Goth-Mädchen, stellte er enttäuscht fest, unterwegs zu einem Abend in der Stadt.
    Eines Mittwochs sah er auf den Mülltonnen hinter den Newton Mansions eine große braune Ratte sitzen, die dreinschaute, als gehörte ihr die

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