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Niemalsland

Titel: Niemalsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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frühmorgendlichen Licht. »Und das ist alles?«
    »Ich könnte Ihnen viel Glück für Ihre zukünftige Laufbahn wünschen, doch ich möchte bezweifeln, daß Sie dafür noch lange genug leben werden.«
    »Sie sind ein ziemlicher Stinkstiefel, was?«
    Er sagte nichts.
    Sie ging zurück zur Tür. »Na gut«, sagte sie. »Kommen Sie. Ich mache uns auf.«
    Door legte ihre linke Hand an die vernagelte Tür, und mit der rechten nahm sie die riesige braune Hand des Marquis. Ihre kleinen Finger umschlangen seine großen. Sie schloß die Augen.
    … etwas wisperte und erschauerte und verwandelte sich …
    … und die Tür zerfiel zu Dunkelheit …
    Die Erinnerung war frisch, erst ein paar Tage alt. Door ging durch das Haus Ohne Türen und rief: »Ich bin wieder da!« und »Hallo?« Sie schlüpfte vom Vorzimmer ins Eßzimmer, in die Bibliothek, in den Salon; niemand antwortete. Es war niemand da. Sie betrat einen anderen Raum.
    Das Schwimmbad war ein viktorianisches Gebäude aus Marmor und Gußeisen. Ihr Vater hatte es gefunden, als er noch jung war. Es stand leer und sollte abgerissen werden, und er hatte es in die Materie des Hauses Ohne Türen eingewoben.
    Door hatte keine Ahnung, wo die Räume ihres Hauses sich tatsächlich befanden. Ihr Großvater hatte es gebaut, indem er hier ein Zimmer und dort ein Zimmer zusammengesucht hatte, überall in London, diskret und türlos.
    Sie ging an dem alten Schwimmbecken entlang, froh, wieder zu Hause zu sein. Und dann schaute sie nach unten.
    Es trieb jemand im Wasser. Er zog zwei Blutwolken hinter sich her, eine aus der Kehle und eine aus dem Unterleib. Es war ihr Bruder, Arch. Seine Augen waren weit geöffnet und blicklos.
    Sie merkte, daß ihr Mund offenstand. Sie hörte sich schreien.
    »Das tat weh«, sagte der Marquis. Er rieb sich heftig die Stirn und ließ den Kopf kreisen, als hätte er plötzlich einen steifen Hals bekommen.
    »Erinnerungen«, erklärte sie. »Sie sitzen in den Wänden. «
    Er zog eine Augenbraue hoch. »Sie hätten mich warnen können.«
    »Ah«, sagte sie. »Stimmt.«
    Sie standen in einem riesigen weißen Saal. Alle Wände hingen voller Bilder. Jedes Bild zeigte einen anderen Raum.
    »Interessantes Dekor«, bemerkte der Marquis anerkennend.
    »Dies ist die Eingangshalle. Von hier aus können wir in jeden Raum des Hauses gehen. Sie sind alle untereinander verbunden.«
    »Wo befinden sich die anderen Räume?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Weiß ich nicht. Wahrscheinlich kilometerweit weg. Sie sind über die gesamte Unterseite verstreut.«
    Der Marquis hatte bereits mit ungeduldigen Schritten den gesamten Raum durchmessen. »Ganz beachtlich. Ein assoziatives Haus, dessen Räume sich alle an unterschiedlichen Orten befinden. Wie einfallsreich. Ihr Großvater war ein Visionär, Door.«
    »Ich habe ihn nicht mehr kennengelernt.« Sie schluckte und fuhr dann fort, an sich selbst ebenso wie an ihn gewandt. »Wir hätten hier in Sicherheit sein müssen. Nichts hätte uns passieren dürfen. Nur meine Familie konnte sich in diesem Haus bewegen.«
    »Hoffen wir, daß uns das Tagebuch Ihres Vaters ein paar Hinweise gibt«, sagte er. »Wo fangen wir an zu suchen? «
    Sie zuckte mit den Schultern.
    »Sind Sie sicher, daß er ein Tagebuch geführt hat?«
    Sie nickte. »Er pflegte immer in sein Arbeitszimmer zu gehen und die Verbindungen zu unterbrechen, bis er mit dem Diktieren fertig war.«
    »Dann beginnen wir im Arbeitszimmer.«
    »Aber dort habe ich schon gesucht. Wirklich. Dort habe ich schon gesucht. Als ich die Leiche weggeräumt habe …« Und sie begann zu weinen, in leisen, wütenden Schluchzern, die klangen, als würden sie ihr gewaltsam entrissen.
    »Na, na«, sagte der Marquis de Carabas verlegen und tätschelte ihr die Schulter. Und dann fügte er lieber noch ein »Na« hinzu.
    Er war kein guter Tröster.
    Doors seltsam gefärbte Augen standen voller Tränen. »Nur … nur eine Sekunde, bitte. Es geht gleich wieder.«
    Er nickte und ging ans andere Ende des Raumes. Als er sich umschaute, stand sie immer noch da, allein, ihr Umriß hob sich gegen die weiße Eingangshalle voller Raumbilder ab, und sie hatte die Arme um sich geschlungen und bebte und weinte wie ein kleines Mädchen.
    Richard war immer noch ungehalten über den Verlust seiner Tasche.
    Lord Rattensprecher war ungerührt. Er stellte trocken fest, die Ratte – Master Longtail – habe nichts davon gesagt, daß Richard seine Sachen zurückerhalten solle. Nur daß er zum Markt zu bringen sei.
    Dann

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