Niemalsland
Leibwächter engagieren?«
Mr. Vandemar schob sein Messer wieder in das Halfter in seinem Ärmel. Auch er zog seinen Mantel an, steckte die Hände tief in die Taschen und war angenehm überrascht, noch fast eine halbe Maus in einer davon zu finden. Gut. Er war hungrig.
Dann prüfte er Mr. Croups letzte Bemerkung mit der Gründlichkeit eines Gerichtsmediziners, der seine große Liebe seziert; und als er den Argumentationsfehler seines Kompagnons erkannt hatte, sagte Mr. Vandemar: »Wir brauchen keinen Leibwächter, Mister Croup. Wir tun Menschen weh. Uns tut niemand weh.«
Mr. Croup drehte das Licht aus. »Ach, Mister Vandemar«, sagte er, den Klang der Worte genießend, wie er den Klang aller Worte genoß, »wenn ihr uns stecht, bluten wir dann nicht?«
Mr. Vandemar grübelte in der Dunkelheit einen Moment darüber nach. Dann sagte er, völlig richtig: »Nein.« »Ein Spion von der Oberseite«, sagte Lord Rattensprecher. »Hä? Ich sollte dich von der Gurgel bis zum Gedärm aufschlitzen und die Zukunft aus deinen Eingeweiden lesen.«
»Hören Sie«, sagte Richard, mit dem Rücken zur Wand und dem Glasdolch am Adamsapfel. »Ich glaube, Sie machen einen Fehler. Mein Name ist Richard Mayhew. Das kann ich beweisen. Ich habe meine Bibliothekskarten dabei. Kreditkarten. Sachen«, fügte er verzweifelt hinzu.
Am anderen Ende des Saals, bemerkte Richard mit der leidenschaftslosen Klarheit, die einen erfaßt, wenn ein Irrer gerade vorhat, einem die Kehle mit einem Glassplitter aufzuschlitzen, verneigten sich Menschen bis zum Boden und verharrten in dieser Position.
Eine kleine schwarze Gestalt kam auf dem Fußboden auf sie zu. »Ich glaube, wenn wir einen Moment nachdenken, werden wir feststellen, daß wir uns alle sehr dumm benehmen«, sagte Richard. Er hatte keine Ahnung, was diese Worte bedeuteten, er wußte nur, daß sie aus seinem Mund kamen und daß er, solange er sprach, nicht tot war. »Also, warum legen Sie das da nicht weg und – entschuldige, das ist meine Tasche«, letzteres zu einem dünnen, verwahrlost aussehenden Mädchen, keine zwanzig Jahre alt, das Richards Tasche genommen hatte und seine Besitztümer achtlos auf den Boden schüttete.
Die Menschen in der Halle fuhren fort, sich zu verbeugen und gebückt stehenzubleiben, während die kleine Gestalt näher kam.
Sie erreichte die Menschengruppe um Richard. Keiner bemerkte sie. Alle sahen Richard an.
Es war eine Ratte. Sie schaute zu ihm auf. Richard schien es bizarrerweise einen Moment lang, als ob sie ihm zublinzelte. Dann fiepte sie laut.
Der Mann mit dem Glasdolch fiel auf die Knie. Die Menschen um sie herum folgten seinem Beispiel. Nach kurzem Zögern kniete, etwas verlegener, auch der Obdachlose nieder, den sie Iliaster genannt hatten.
Richard war der einzige, der stehen geblieben war. Das dünne Mädchen zupfte ihn am Ellenbogen, und auch er ließ sich auf ein Knie nieder.
Lord Rattensprecher verneigte sich so tief, daß sein langes Haar den Boden streifte, und er fiepte zurück, rümpfte die Nase, zeigte die Zähne, quiekte und fauchte, ganz wie eine überdimensionale Ratte.
»Hören Sie, kann mir jemand sagen …«, murmelte Richard. »Sei still!« sagte das Mädchen.
Die Ratte stieg ein wenig geziert in die schmutzige Hand des Lords, und der Mann hielt sie respektvoll vor Richards Gesicht. Träge bewegte sie ihren Schwanz.
»Das ist Master Longtail, vom Clan der Greys«, sagte Lord Rattensprecher. »Er sagt, du kämst ihm überaus bekannt vor. Er möchte wissen, ob ihr euch schon einmal begegnet seid.« Richard sah die Ratte an. Die Ratte sah Richard an. »Kann schon sein«, räumte er ein.
»Er sagt, er sei dabei einer Verpflichtung dem Marquis de Carabas gegenüber nachgekommen.«
Richard sah sie sich aus der Nähe an. »Die Ratte ist das? Ja, wir sind uns schon mal begegnet. Um die Wahrheit zu sagen: Ich habe mit der Fernbedienung nach ihr geworfen.«
Die Menschen, die um ihn herumstanden, sahen schockiert aus. Das dünne Mädchen quiekte sogar. Richard nahm das kaum wahr; wenigstens auf etwas Vertrautes war er in diesem Irrenhaus gestoßen.
»Hallo, Ratty«, sagte er. »Schön, dich wiederzusehen. Weißt du, wo Door ist?«
»Ratty!« machte das Mädchen. Es hörte sich an wie ein Mittelding zwischen einem Quietschen und einem entsetzten Schlucken. An ihren zerlumpten Sachen steckte ein kleines wasserfleckiges rotes Badge. Darauf stand in gelben Buchstaben Ich bin 11.
Lord Rattensprecher schwenkte mahnend seinen Glasdolch vor
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