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Niemalsland

Titel: Niemalsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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biß sich auf die Unterlippe. »Nein. Eigentlich nicht. Es tut mir nicht leid. Ich mußte die ganze Zeit immer nur weglaufen und mich verstecken, so daß … ich jetzt zum ersten Mal die Gelegenheit hatte, zu …« Sie sprach nicht weiter.
    Die Marquis schob die Münzen und Knochen zusammen hob sie auf und steckte sie wieder in eine seiner vielen Taschen.
    »Nach Ihnen«, sagte er.
    Er folgte ihr zurück zu der Bilderwand. Sie legte eine Hand auf das Bild des Arbeitszimmers ihres Vaters und nahm mit der anderen die Hand des Marquis.
    … die Wirklichkeit verschwamm …
    Sie waren im Wintergarten und gossen die Pflanzen.
    Ingress hatte ihre eigene kleine Gießkanne. Darauf war sie sehr stolz. Sie sah genauso aus wie die ihrer Mutter.
    Sie begann zu lachen, ein spontanes Kleinmädchenlachen. Und auch ihre Mutter lachte, bis der füchsisch fiese Mr. Croup plötzlich scharf an ihren Haaren riß und ihr von einem Ohr zum anderen die Kehle durchschnitt.
    »Hallo, Daddy«, sagte Door leise.
    Sie berührte die Büste ihres Vaters mit den Fingern und streichelte seine Wange. Ein dünner, asketischer Mann, fast kahl. Caesar als Prospero, dachte der Marquis de Carabas. Ihm war etwas übel. Das letzte Bild hatte sehr wehgetan.
    Aber immerhin: Er stand in Lord Porticos Arbeitszimmer. Das hatte es noch nicht gegeben.
    Er sah sich den Raum genau an, ließ seinen Blick über jedes Detail schweifen. Das ausgestopfte Krokodil, das von der Decke hing, die Bücher, ein Astrolabium, Spiegel, seltsame wissenschaftliche Geräte; Landkarten an den Wänden; ein Schreibtisch voller Briefe.
    Die weiße Wand hinter dem Schreibtisch war durch einen rötlichbraunen Fleck verunstaltet.
    Auf dem Schreibtisch stand ein kleines Bild von Doors Familie. Der Marquis starrte es an.
    »Ihre Mutter und Ihre Schwester. Ihr Vater. Und Ihr Bruder. Alle tot. Wie sind Sie entkommen?«
    Sie ließ die Hand sinken. »Ich hatte Glück. Ich war für ein paar Tage auf Entdeckungsreise … wußten Sie, daß am Kilburn River immer noch ein paar römische Soldaten lagern?«
    Davon hatte der Marquis tatsächlich nichts gewußt, und das ärgerte ihn. »Hmm. Wie viele?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Ein paar Dutzend. Sie sind von der Neunzehnten Legion desertiert, glaube ich. Mein Latein ist etwas lückenhaft. Jedenfalls, als ich dann wieder herkam …«
    Sie schwieg, schluckte, und in ihren seltsam gefärbten Augen standen Tränen.
    »Reißen Sie sich zusammen«, sagte der Marquis knapp. »Wir brauchen das Tagebuch Ihres Vaters. Wir müssen herausfinden, wer das getan hat.«
    Sie runzelte die Stirn. »Wir wissen, wer das getan hat. Es waren Croup und Vandemar – «
    Er streckte fünf Finger in die Luft und bewegte sie, während er sprach. »Die beiden sind Arme. Hände. Finger. Dazu gehört ein Kopf, der die Anordnungen gibt und der auch Ihren Tod will. Die beiden sind nicht billig. «
    Er schaute sich in dem vollgestopften Büro um. »Sein Tagebuch?« fragte der Marquis.
    »Hier ist es nicht«, sagte sie. »Hab’ ich Ihnen doch gesagt. Ich habe schon danach gesucht.«
    »Ich habe fälschlicherweise geglaubt, Ihre Familie hätte die Fähigkeit, Türen zu finden, sichtbare ebenso wie unsichtbare. «
    Sie warf ihm einen wütenden Blick zu. Dann schloß sie die Augen und umfaßte ihren Nasenrücken mit Daumen und Zeigefinger.
    Der Marquis untersuchte die Gegenstände auf Porticos Schreibtisch. Ein blauschwarzes Tintenfaß, eine Schachfigur, ein knöcherner Würfel, eine goldene Taschenuhr, einige Federkiele und …
    Interessant.
    Es war eine kleine Statue eines Keilers oder eines kauernden Bären oder vielleicht eines Stiers. Es war schwer zu sagen. Sie hatte die Ausmaße einer großen Schachfigur und war grob aus schwarzem Obsidian gemeißelt. Sie erinnerte ihn an etwas, doch er wußte nicht, an was.
    Er nahm sie hoch, drehte sie um. Schlang seine Finger darum.
    Door ließ ihre Hand sinken. Sie sah verblüfft und verwirrt aus.
    »Was ist los?« fragte er.
    »Es ist hier«, sagte sie nur. Sie begann, durch das Arbeitszimmer zu gehen, und wandte dabei ihren Kopf erst zur einen und dann zur anderen Seite.
    Der Marquis steckte die Figur in eine seiner Innentaschen. Door stand vor einem hohen Schrank. »Da«, sagte sie. Sie streckte eine Hand aus: Es klickte, und in der Seitenwand des Schranks öffnete sich ein kleines Fach. Door griff in die Dunkelheit und holte etwas heraus, das etwa die Größe und Form eines Kricketballs hatte. Sie reichte es dem Marquis.
    Es war eine

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