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Niemalsland

Titel: Niemalsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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Mayhew. Das ist Anaesthesia. Sie ist diejenige von uns beiden, die weiß, was sie tut.«
    Das Rattenmädchen warf sich in die Brust.
    Die Lederfrau musterte ihn von oben bis unten. »Sie kommen aus Ober-London«, stellte sie fest.
    »Ja.«
    »Und reisen mit einer Rattensprecherin. Gute Güte.«
    »Ich bin seine Beschützerin«, sagte Anaesthesia trotzig. »Wer sind Sie? Wem sind Sie untertan?«
    Die Frau lächelte. »Ich bin niemandem untertan, Rattenmädchen. Ist einer von euch schon mal über die Night’s Bridge gegangen?«
    Anaesthesia schüttelte den Kopf.
    »Aha. Na, das kann ja was werden.«
    Sie gingen auf die Brücke zu.
    Anaesthesia reichte Richard ihre Lampe. »Hier«, sagte sie.
    »Danke.« Richard schaute die Frau in Leder an. »Gibt es denn da wirklich etwas, vor dem man Angst haben müßte?«
    »Nur die Nacht auf der Brücke«, sagte sie.
    »Die Nacht? Ich dachte, es heißt Knightsbridge – Ritterbrücke. «
    »Nein, bei uns ist es die Night’s Bridge, die Brücke der Nacht.«
    Anaesthesias winzige Hand suchte Richards. Er hielt sie fest. Sie lächelte ihn an und drückte ihm die Hand.
    Und dann betraten sie die Brücke, und Richard begann zu begreifen, was Dunkelheit ist: etwas Festes und Reales.
    Er spürte die Berührung der Finsternis auf seiner Haut, suchend, wandernd, forschend glitt sie durch seine Gedanken. Sie drang in seine Lungen, hinter seine Augen, in seinen Mund …
    Mit jedem Schritt wurde das Licht der Kerze schwächer. Er stellte fest, daß auch die Taschenlampe der Lederfrau ihren Geist aufgab.
    Finsternis, völlige Finsternis.
    Geräusche. Ein Rascheln, ein Zucken. Richard blinzelte, geblendet von der Nacht.
    Die Geräusche wurden häßlicher, hungriger. Richard glaubte, Stimmen zu hören: eine Horde riesiger, mißgebildeter Trolle unter der Brücke …
    Irgend etwas glitt im Dunkeln an ihnen vorbei.
    »Was ist das?« quiekte Anaesthesia. Ihre Hand zitterte in seiner.
    »Still«, flüsterte die Frau. »Mach sie nicht auf uns aufmerksam. «
    »Was geht hier vor?« flüsterte Richard.
    »Die Finsternis«, sagte die Lederfrau sehr leise. »All die Alpträume, die seit der Zeit, als wir noch in Höhlen wohnten, als wir voll Angst zusammenrückten, um uns sicher zu fühlen und es warm zu haben, herauskommen, wenn die Sonne untergeht. Jetzt ist es an der Zeit, Angst vor der Dunkelheit zu haben.«
    Richard wußte, daß ihm gleich etwas übers Gesicht krabbeln würde. Er schloß die Augen: An dem, was er sah und spürte, änderte das nichts. Die Nacht war vollkommen.
    Und dann begannen die Halluzinationen.
    Er sah eine Gestalt, die brennend durch die Nacht auf ihn herabfiel. Ihre Flügel und Haare standen in Flammen.
    Er riß die Hände hoch: Da war nichts.
    Jessica schaute ihn an, mit Verachtung im Blick.
    Er wollte ihr etwas zurufen, ihr sagen, daß es ihm leid tat.
    Einen Fuß nach dem anderen.
    Er war ein kleines Kind auf dem Heimweg von der Schule, abends, auf der einzigen Straße ohne Beleuchtung. Egal, wie oft er den Weg ging, er wurde nie leichter, wurde nie besser.
    Er steckte tief in der Kanalisation, hatte sich in einem Labyrinth verirrt. Das Ungeheuer wartete auf ihn.
    Er hörte langsam fallende Wassertropfen. Er wußte, daß das Ungeheuer wartete. Er umklammerte seinen Speer … Dann ein Grollen, tief in der Kehle des Ungeheuers hinter ihm. Er drehte sich um. Langsam, quälend langsam ging es durch die Finsternis auf ihn los.
    Und es war bei ihm.
    Er starb.
    Und ging immer weiter.
    Langsam, quälend langsam ging es auf ihn los, wieder und wieder, durch die Finsternis …
    Es zischte, und eine Flamme leuchtete auf, so hell, daß es wehtat. Es war die Kerzenflamme in ihrer Lucozade-Flasche. Er hatte nicht gewußt, wie hell eine einzelne Kerze brennen kann. Stolz hielt er sie hoch.
    »Wie es scheint, sind wir heil hinübergekommen«, sagte die Lederfrau.
    Richard merkte, daß ihm das Herz bis zum Halse schlug, daß er nicht in der Lage war zu sprechen. Er zwang sich, langsam zu atmen, ruhig zu werden.
    »Ich nehme an«, sagte er stockend, »wir waren gar nicht wirklich in Gefahr. Es war wie in einer Geisterbahn … ein paar Geräusche im Dunkeln. Die Fantasie besorgt den Rest. Es gab doch keinen Grund, sich zu fürchten, oder?«
    Die Frau sah ihn beinahe mitleidig an, und Richard bemerkte, daß niemand seine Hand hielt.
    »Anaesthesia?«
    Aus der Dunkelheit am Scheitelpunkt der Brücke kam ein schwaches Geräusch, eine Art Rascheln oder Seufzen. Eine Handvoll unregelmäßig

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