Niemand hört dich schreien (German Edition)
den Kopf. »Nein, wir haben sie nicht gefunden.«
Jacob nickte. »Inzwischen müssen wir davon ausgehen, dass sie nach Alaska gegangen sind.«
Houseman war über die jüngsten Morde unterrichtet worden. »Und jetzt ist er wieder hier und bringt die Schwestern um.«
»Das ist unsere Vermutung.«
»Und die beiden jüngeren Schwestern?«
»Die Jüngste haben wir gefunden. Die etwas ältere versuche ich seit zwei Stunden zu erreichen, aber sie geht nicht an ihr Handy.«
»Wer ist es?«
Jacob ballte die rechte Hand zur Faust. »Kendall Shaw. Sie wird vermisst, und ihre hochschwangere Mitbewohnerin ebenfalls.«
Houseman zog die Augenbrauen hoch und schaute noch einmal in seine Akte. »Als Mrs Turner ermordet wurde, war sie mit ihrem sechsten Kind schwanger.«
»Verdammt«, sagte Zack. »Wir wissen, dass die Turners östlich der Stadt ein Stück Land besaßen.«
»Dort haben sie gejagt, aber gewohnt haben sie in einem Bauernhaus in Hanover County.« Houseman blätterte durch seine Notizen und las die Adresse vor. Ein abgelegener, ländlicher Ort – perfekt, um Frauen zu verstecken.
Jacob und Zack erhoben sich gleichzeitig. »Danke.«
Nicoles Gesicht war feucht von Schweiß, als sie keuchend auf dem Bett lag. Die Wehen kamen inzwischen im Abstand von weniger als einer Minute.
Kendall hatte ihr die Haare mit einem Schnürsenkel zusammengebunden und hielt jetzt Nicoles Hand, als eine neue Wehe sie überrollte. Als die Wehe abklang und Nicole in die Kissen zurückfiel, ging Kendall ans Bettende und schob die Laken hoch. Sie half Nicole, die Hose auszuziehen, und achtete darauf, sie vor Todds aufmerksamen Blicken zu schützen.
Er stand an der Tür. Ein hämisches Lächeln spielte um seine Lippen.
Um Nicoles willen bemühte sich Kendall, gefasst zu wirken. »Es läuft genau nach Plan.«
Nicole biss die Zähne zusammen. »Ich will pressen.«
»Okay. Okay.« War das gut oder schlecht? Kendall schaute nach unten und sah den Kopf des Kindes. »Ich glaube, ich kann sie sehen.«
»Darf ich pressen?«
Kendall hatte keine Ahnung. »Ja.«
Nicole befeuchtete die Lippen. »Woher weißt du das?«
»Ich weiß es einfach.« Sie drehte sich nicht zu Todd um. »Ich brauche heißes Wasser, damit ich mir die Hände waschen und das Baby säubern kann.«
Todd schüttelte den Kopf. »Begnüg dich mit dem, was du hast.«
»Ich mache mir Sorgen wegen der Infektionsgefahr.«
»Ich nicht. Solange es dem Baby gut geht, ist mir alles andere egal.«
»Kendall!« Nicole bog den Rücken durch und begann zu hecheln.
Kendall sah nach unten. Ganz allmählich trat der Kopf des Kindes aus. Sie hatte keine Ahnung, was passieren würde, wenn das Kind erst einmal geboren war, jetzt konnte sie nur an die Geburt denken. »Sie kommt, Nic. Pressen. Ganz fest pressen!«
Nicole drückte den Körper durch und schrie, während sie gleichzeitig die Zähne zusammenbiss. Todd trat näher heran und beobachtete gespannt das Geschehen. Der Kopf wurde geboren.
»Pressen!«, rief Kendall.
Ein letzter Schrei, und die Schultern des Kindes folgten. Kendall fing das nasse, blutige Baby auf, das mit der letzten Wehe herausglitt. Sofort drehte sie das Kind auf die Seite, befreite seinen Mund vom Schleim und rieb es zwischen den Schultern. Die Kleine fing an zu schreien.
Nicole schluchzte. »Ist alles in Ordnung mit ihr?«
»Ihr geht es gut«, sagte Todd. In seiner Stimme lag Stolz.
Kendall nahm den anderen Schnürsenkel, den sie aus ihrem Schuh entfernt hatte, und band die Nabelschnur ab. Sekunden später kam die Plazenta zum Vorschein. »Ich muss die Nabelschnur durchschneiden.«
Todd ließ ein Taschenmesser aufklappen. »Das mache ich.«
Kendall bedeckte das Kind mit den Händen, und Nicole stützte sich auf die Ellbogen, um Todd zuzusehen. Die Sorge in ihren Augen galt nicht ihr selbst, sondern dem Baby.
Todds Hände waren jedoch so ruhig wie die eines Chirurgen. Er durchschnitt die Nabelschnur.
Kendall wickelte das Neugeborene in eine Decke, die auf dem Bett lag, und legte es Nicole in die Arme. Tränen liefen Nicole über die Wangen, als sie ihr Kind betrachtete.
Kendall deckte sie zu und wischte sich die blutigen Hände am Laken ab. Sie begegnete Todds Blick. »Lass sie, dann gehe ich mit dir. Bitte. Lass sie am Leben.«
Eine ganze Weile starrte er sie an. »Du würdest mit mir gehen?«
Sie benutzte das Wort, das sie so viele Male von ihm gehört hatte. »Wir können eine Familie sein.«
Er streckte die Hand aus und berührte ihr Gesicht.
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