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Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Titel: Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annick Cojean
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Schule geben, wie er sie liebt und verdient!« Was für eine Nachricht! Was für eine großartige Neuigkeit! Sie können sich unsere Aufregung nicht vorstellen. Gaddafi leibhaftig vor uns zu sehen ... Sein Bild begleitete mich, seit ich auf der Welt bin. Seine Fotos waren überall, auf den Mauern der Stadt, den Wänden der Verwaltungsgebäude, der öffentlichen Säle, der Geschäfte. Auf T-Shirts, Halsketten, Schulheften. Von den Geldscheinen gar nicht zu reden. Wir lebten pausenlos unter seinem Blick. In seinem Kult. Und trotz Mamas bitterböser Bemerkungen empfand ich für ihn eine furchtsame Verehrung. Sein Leben konnte ich mir nicht vorstellen, denn ich ordnete ihn gar nicht unter die Menschenwesen ein. Er stand über allen Dingen, er lebte auf einem unerreichbaren Olymp, in der absoluten Reinheit.
    Am nächsten Morgen rannte ich in frisch gewaschener und gebügelter Schulkleidung – schwarze Hose und Tunika, weißer Schal, der das Gesicht fest umschloss – zur Schule und wartete ungeduldig darauf, dass man uns den Tagesablauf erklären würde. Aber kaum hatte die erste Stunde begonnen, als ein Lehrer mich holen kam und mir sagte, ich sei auserwählt worden, dem Führer Blumen und Geschenke zu überreichen. Ich! Das Mädchen aus dem »Salon«! Die Schülerin, die man immer abseits setzte! Ein Schock, sage ich Ihnen! Erst mal habe ich ungläubig die Augen aufgerissen, dann bin ich strahlend aufgestanden in dem Bewusstsein, dass ich sehr viele Neider in der Klasse zurückließ. Man führte mich in einen großen Raum, wo ich noch andere, gleichfalls ausgewählteSchülerinnen traf, man wies uns an, uns sehr schnell umzuziehen und das traditionelle libysche Gewand überzustreifen. Die Sachen hingen schon auf Kleiderbügeln für uns parat. In Rot. Tunika, Hose, Schleier und ein kleines Hütchen, das man aufs Haar setzte. Wie aufregend das alles war! Wir drängelten uns lachend, unterstützt von Lehrerinnen, die uns die Schleier richteten, hier und da eine Nadel reinsteckten, einen Fön zur Hand nahmen, um widerspenstige Haare zu glätten. Ich fragte: »Sagen Sie mir bloß, ich flehe Sie an, wie soll ich ihn begrüßen? Was muss ich tun? Muss ich niederknien? Ihm die Hand küssen? Etwas aufsagen?« Mein Herz schlug wie wild, während alle um uns herum damit beschäftigt waren, uns wunderschön aussehen zu lassen. Wenn ich heute an diese Szene zurückdenke, sehe ich in ihr die Vorbereitung der Lämmer, die man zum Opferaltar führt.
    Der Festsaal der Schule war bis auf den letzten Platz gefüllt. Lehrer, Schüler, Verwaltungspersonal, alles war in nervöser Erwartung. Die kleine Gruppe der Mädchen, die für seinen Empfang ausgewählt waren, hatte man vor der Eingangstür postiert, und wir warfen uns komplizenhafte Blicke zu, die besagen wollten: ›Mensch, haben wir ein Glück! Unser ganzes Leben werden wir uns an diesen Augenblick erinnern!‹ Ich klammerte mich an meinen Blumenstrauß und zitterte wie Espenlaub. Meine Beine erschienen mir wie aus Watte. Ein Lehrer warf mir einen strengen Blick zu: »Reiß dich zusammen, Soraya!«
    Und plötzlich erschien er. In einem Blitzlichtgewitter und umgeben von einem Schwarm von Leuten und den Frauen seiner Leibgarde. Er trug ein weißes Gewand, die Brust voller Orden und Ehrenzeichen, über den Schultern einen beigefarbenen Schal und in der gleichen Farbe eine Kappe aufseinem Kopf, unter der tiefschwarze Haare hervorquollen. Es ging alles sehr schnell. Ich reichte ihm mein Bukett, dann nahm ich seine freie Hand in meine Hände und küsste sie, mich verneigend. Ich spürte, wie er meine Handfläche merkwürdig fest zusammendrückte. Dann maß er mich mit kaltem Blick von oben bis unten. Er presste meine Schulter, legte mir eine Hand auf den Kopf und streichelte mir das Haar. In dem Moment ging mein Leben zu Ende. Denn diese Geste, so erfuhr ich später, war das Zeichen, das seiner Leibgarde bedeutete: »Die will ich.«
    Doch für den Augenblick schwebte ich auf einer kleinen Wolke. Und kaum war der Besuch vorbei, flog ich mehr als ich lief zum Frisiersalon, um meiner Mutter von dem Ereignis zu erzählen. »Papa Muammar hat mich angelächelt, Mama. Ich schwör’s dir! Er hat mir den Kopf gestreichelt!« In Wahrheit erinnerte ich mich eher an ein eisiges Grinsen, aber mein Herz jubelte, und ich wollte, dass alle Welt es erfuhr. »Mach doch nicht solchen Wind darum!«, gab Mama nur von sich und zog weiter die Wickler aus den Haaren einer Kundin.
    »Aber Mama! Er ist das

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