Niemand ist eine Insel (German Edition)
kleine Tochter auch! Den Schwur, den einer, wie ich es war, da nicht schwört, den Schwur gibt es nicht.
Verzeihen Sie, mein Herr Richter.
Ich weiß, was Sie brauchen, sind nicht meine Seelenblähungen. Was Sie brauchen, ist die Wahrheit über all jene Ereignisse, die diesem Mann zuletzt eine stählerne Kugel im Herzen beschert haben.
Die Wahrheit, ach …
Die Wahrheit ist nicht schön. Die Wahrheit ist schrecklich. Mir scheint, das ist die Wahrheit immer. Bevor ich diese Wahrheit nun also berichte – und sie wird schlimm sein, abstoßend, grausig, Ihren Schauder erregend –, mußte ich erst das, was Sie eben gelesen haben, loswerden, ich wäre sonst erstickt daran …
Ja nun, und so hat alles begonnen. Am stürmischen, regnerischen Abend des 24. November 1971, einem Mittwoch, in Paris. Als ich, um Verfolger abzuschütteln, kreuz und quer durch die Stadt fuhr, hinaus zu jenem so sehr gesicherten Haus in der Rue Cavé, ganz nahe dem Bois de Boulogne. Als ich dann vor dem Bett in Zimmer 11 im dritten Stock stand und die Bescherung sah. Vollkommen mit dicken weißen Bandagen umwickelt der Kopf. Nur Nase und Mund frei. Plastikschläuche, die aus dem Verband herausliefen, bis zum Boden hinab, in ein Glasgefäß, welches das langsam tropfende Blut sammelte. Als ich auf mein Rufen keine Antwort bekam von Sylvia, die reglos dalag. Fast völlig finster war es in dem Zimmer. Draußen heulte der Sturm, Regen peitschte gegen die Scheiben.
»Sylvia!« Sehr laut.
Keine Reaktion.
Die war weg.
Konnte tot sein, so weg war die.
Das beunruhigte mich schon sehr. Wenn da etwas passiert war? Ein Mann muß schließlich auch an sich denken, nicht wahr …
5
A lso tastete ich mich hinaus, die Tür zum Krankenzimmer ließ ich offen, so fiel etwas Licht in den Vorraum, und ich fand die zweite Tür. Dann war ich auf dem schummerigen Gang. Hinunter zu einem Schwesternzimmer. Vor der Tür ein Vorhang, ich mußte ihn zur Seite streifen. Helles Licht! An einem Schreibtisch, umgeben von Medikamentengaben in kleinen Schälchen, über sich Regale mit Klinikpackungen, neben sich Sterilisationsapparate für Injektionsnadeln, saß, in Weiß, eine junge Nonne mit großer Hornbrille. Nanu! Eine Nonne – hier? Mit gleicher Wahrscheinlichkeit konnte man annehmen, solch geistliche Dame dort anzutreffen, wo luxuriös gekratzt wurde. Wahrhaftig, eine Nonne. Langer weißer Kittel, kein Mantel, bewahre, und dieses Ding auf dem Kopf, ich weiß nicht, wie es heißt. Sie wissen es, mein Herr Richter.
»Bon soir, chère sœur …« Hoffentlich war das richtig.
Schien richtig zu sein.
Sie sah auf. So etwas von hübsch! Und geistliche Schwester. Welch ein Jammer. Welche Verschleuderung süßer Sachen. Als ob man’s zum Rausschmeißen hätte! Ich wurde ganz traurig. Hübsch? Eine Schönheit! Rein und tugendhaft. Wenn ich’s mir aussuchen durfte, lagen mir ja mehr die Giftigen. Aber auch bei den Reinen, Tugendhaften dachte ich immer sofort daran . Mein Webfehler: Mir konnten Sie vorführen, was Sie wollten, Weiße, Schwarze, Gelbe, Sanfte, Reine, Giftige, Nutten, Jungfrauen, Hausfrauen, alles, was bloß weiblich ist: Ich dachte garantiert immer sofort daran .
»Guten Abend, Monsieur …« Sie sah mich fragend an.
»Dreizehn«, sagte ich.
»Oh, Dreizehn.« Sie blickte auf einen Zimmerbelegplan. »Sie müssen entschuldigen, ich habe Sie nicht sofort erkannt.«
»Wir haben einander ja auch noch nie gesehen, Schwester.«
»Ich arbeite sonst auch nie hier, in dieser Abteilung, Monsieur.« Sie stand auf. »Hier sind heute zwei weltliche Schwestern ausgefallen. Ich vertrete sie. Ich heiße Hélène.«
»Sehr erfreut, Sie kennenzulernen, Schwester Hélène.«
»Ich arbeite sonst unten im Erdgeschoß. Auch plastische Chirurgie natürlich. Aber Verletzungen, Verbrennungen, Entstellungen nach einem Unfall … bei all diesen armen Menschen. Niemals hier, nein.«
»Natürlich nicht, das kann ich mir denken.«
»Danke für Ihr Verständnis, Monsieur … Ich bin Gegnerin dieser … dieser Schönheitsplastik-Chirurgie … Ich weiß, das steht mir nicht zu … Doch der Allmächtige hat uns Gesicht und Gestalt gegeben nach Seinem Wohlgefallen, in Seiner unergründlichen Weisheit, und …«
»Und hier wird ihm ins Handwerk gepfuscht, ich verstehe sehr wohl.«
»Kann ich etwas für Sie tun, Monsieur?«
»Madame Elf … ich war eben bei ihr. Sie bewegt sich nicht. Sie liegt da wie tot …«
»O nein, Monsieur, nein, mit Madame ist alles in
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