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Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Titel: Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Decker
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Geliebte.
    Es ist ein Vorurtheil, daß ich ein Mensch bin. Aber ich habe schon oft unter den Menschen gelebt und kenne Alles, was Menschen erleben können, vom Niedrigsten bis zum Höchsten. Ich bin unter den Indern Buddha, in Griechenland Dionysos gewesen, – Alexander und Caesar sind meine Inkarnationen … Zuletzt war ich noch Voltaire und Napoleon, vielleicht auch Richard Wagner … Dies Mal aber komme ich als der siegreiche Dionysos, der die Erde zu einem Festtag machen wird … Nicht daß ich viel Zeit hätte … Die Himmel freuen sich, daß ich da bin … Ich habe auch am Kreuze gehangen … 507 Auch jetzt kein Absender, dafür diese eigentümlichste Anrede: An die Prinzeß Ariadne, meine Geliebte.
    Er hofft, sich auf ihre mythologische Bildung verlassen zu dürfen: Ariadne ist die Tochter des kretischen Königs Minos; sie half Theseus, den Minotaurus zu besiegen und wird zur Braut des Dionysos. Sie soll wissen, was auf sie zukommt, darum hat er ihr auch die »Dionysos«-Dithyramben angekündigt. Die Klage des Zauberers aus dem »Zarathustra«, jetzt ist es die der Ariadne. Er hat nicht viel geändert. Die erste Zeile lautet noch immer: Wer wärmt mich, wer liebt mich noch?, die letzte lautet noch immer:
    …
    Oh komm zurück,
    mein unbekannter Gott, mein Schmerz !
    mein letztes Glück! …

    Aber dann geht es weiter, zuerst mit einer Regieanweisung:
    Ein Blitz. Dionysos wird in smaragdner Schönheit sichtbar.

    Dionysos:
    Sei klug, Ariadne!
    Du hast kleine Ohren, du hast meine Ohren:
    steck ein kluges Wort hinein! –
    Muss man sich nicht erst hassen, wenn man sich lieben soll? …
    Ich bin dein Labyrinth … 508
    Immerhin ist er taktvoll genug, ihr und der Öffentlichkeit zu verschweigen, wie er ihre Ehe mit Richard Wagner inzwischen beurteilt. Im Verhältnis zu ihm habe er sie immer nur als Ehebruch interpretieren können, das Tristan-Problem, notiert er sich. Aber auch die frankierten Botschaften werden seine einstige beste Leserin wohl nicht erreichen. Cosima Wagner liest diesen Autor nicht mehr.
    Nicht nur die Witwe Richard Wagners erhält in diesen Tagen nicht ganz alltägliche Ankündigungen: Die Welt ist verklärt, denn Gott ist auf der Erde. Sehen Sie nicht, wie alle Himmel sich freuen? Ich habe eben Besitz ergriffen von meinem Reich, werfe den Papst ins Gefängniß und lasse Wilhelm, Bismarck und Stoecker erschießen. 509 Stoecker, fanatischer Antisemit, ist der Hofprediger des Reichs. Der Brief ist an Meta von Salis adressiert, diesmal ist der Absender genannt: Der Gekreuzigte. Wie dieser über das Deutsche Reich sowie die Lage Europas denkt, hatte er Ende Dezember und Anfang des Jahres schon einem Italiener und zwei Franzosen mitgeteilt: Was geht uns Alle um des Himmels Willen der dynastische Wahnsinn des Hauses Hohenzollern an! … Es ist ja keine nationale Bewegung, nichts als eine dynastische … Fürst Bismarck hat nie ans »Reich« gedacht, – er ist ja mit allen Instinkten bloß ein Werkzeug des Hauses Hohenzollern! – und diese Aufreizung zur Selbstsucht der Völker wird als große Politik, als Pflicht beinahe in Europa empfunden und gelehrt! … Damit muß man ein Ende machen – und ich bin stark genug dazu … 510
    Hans von Bülow erfährt, dass der »Löwe von Venedig« ihn fressen werde, schon weil er noch immer nicht daran denkt, Peter Gasts neue Oper aufzuführen. Kardinal Mariani in Rom und der König von Italien Umberto I werden davon in Kenntnis gesetzt, dass der Gekreuzigte Dienstag nach Rom kommen werde. Aber auch für die Polen hat er ein Wort, denn dass sein bürgerlicher Name – Nietzsche – polnischen Ursprungs ist, scheint ihm gewiss: Den erlauchten Polen. Ich gehöre zu euch, ich bin mehr noch Pole als ich Gott bin, ich will euch Ehren geben, wie ich Ehren zu geben vermag … 511 Der Leipziger Verleger Constantin Georg Naumann wurde bereits am 2. Januar angewiesen, die kleine Schrift Nietzsche contra W. nicht zu drucken, sie sei vollständig überholt . Dennoch führt der Absender Beschwerde über Richard Wagner, und zwar beim Leipziger Reichsgerichtsrath Dr. Wiener: Obwohl Sie mir die Ehre erwiesen haben, den »Fall Wagner« für Wagner vernichtend zu finden, wagt es besagter Wagner dennoch, seine décadence durch eine welthistorische Unzurechnungsfähigkeit ans Licht zu stellen – in lucem aeternam … Dionysos 512 .
    Die Empfänger schweigen. Nur einer nicht, der letzte. Dabei bekommt er einen geradezu bürgerlich langen Brief, den letzten, den der Absender je

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