Night Academy 2
schloss mich in die Arme, und wir hörten die Explosion. Zuletzt rannte ich durchs nasse Gras bis zum hell erleuchteten Hauptgebäude.
Mit einem Mal hatte sich alles verändert. Ich gehörte zum Programm, die Night Academy war angegriffen worden, und ich hätte wetten können, dass sie den wahren Täter nicht preisgeben würden. Zu allem Überfluss machte ich mir auch noch Sorgen, dass Jack darin verwickelt sein könnte. Bislang war ich davon ausgegangen, dass er längst über alle Berge war. Immerhin wollte eine Menge Leute ihn tot sehen – oder wenigstens lebenslang überwacht. Irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, dass er verrückt genug war, zurückzukommen.
Ich stand früh auf und duschte lang und ausgiebig, ein Luxus, der mir sonst in der Schule kaum vergönnt war. Zurück im Zimmer pfefferte ich mein dreckiges T-Shirt und meine Schlafanzughose einfach in Catherines Schrankhälfte. Ein weiterer Luxus. Das versetzte mich in so gute Laune, dass ich meine Probleme kurz vergaß.
Ich zog meine weiteste Jeans an und den roten, gerippten Pullover, den Oma mir zu Weihnachten geschenkt hatte. Gegen mein Haar war kein Kraut gewachsen, aber da ich immer noch Esthers dringende Aufforderung im Hinterkopf hatte, meine »natürliche Schönheit« doch anzunehmen, ließ ich meine Lockenmähne offen. Nachdem ich mir jahrelang große Mühe gegeben hatte, unscheinbar zu wirken, fiel es mir jetzt schwer, mich zurechtzumachen.
Als ich mich zur Tür drehte, um zum Frühstück hinunterzugehen, durchfuhr mich ein furchtbarer Schreck. Im Türrahmen stand eine stumme, versteinerte Gestalt.
Catherine war zurück.
Ihr Haar war straff zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden, unter den Augen hatte sie dunkle Ringe. Während der Ferien musste sie abgenommen haben, denn ihre Wangenknochen standen noch stärker hervor als sonst. Wie immer trug sie eine hochgeschlossene weiße Bluse und dunkelblaue Hosen, in einer Hand hielt sie ihren Koffer.
»Deine Sachen sind in meiner Hälfte«, keifte sie und stampfte ins Zimmer.
»Catherine«, rief ich aus. »Was für eine schöne Überraschung!«
»Der erste Bus ist um sieben Uhr vom Parkplatz losgefahren.«
Zwar wusste ich, dass die Silberkugel am Wochenende jede Stunde fuhr, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass jemand noch vor dem Frühstück auftauchen würde. »Und damit bist du gekommen.« Ich versuchte, freundlich zu sein, auch wenn wir uns nicht ausstehen konnten. »Hast du schöne Ferien gehabt? Viele Weihnachtsgeschenke bekommen?«
»Ich war in einem Haus mit meinen Eltern eingepfercht und musste die ganze Zeit mit anhören, wie sie sich gestritten haben«, sagte sie und stellte den Koffer neben ihrem Bett ab. Demonstrativ kickte sie meine Schlafanzughose durchs Zimmer. »Sie haben mir viele Gutscheine geschenkt und mir gesagt, ich soll mir mal was Neues zum Anziehen kaufen, damit ich nicht immer rumlaufe wie eine fünfzehnjährige Nonne. Ja, die Ferien waren echt spitze.«
So viel hatte Catherine noch nie von sich preisgegeben. In den vier Monaten, in denen wir uns jetzt das Zimmer teilten, war ich natürlich nicht umhingekommen, hier und da ein paar Kleinigkeiten aus ihrem Leben aufzuschnappen, aber meistens drehten die sich um Geld, Limousinen und Chauffeure. Doch noch nie hatte sie sich mir anvertraut, und noch nie hatte sie ihre Eltern kritisiert. Bislang schien sie das mangelnde Interesse ihrer Eltern eher mit Stolz erfüllt zu haben.
Ich hob meine Sachen vom Boden auf. Keine Ahnung, was ich zu Catherine sagen sollte, jetzt wo sie mich nicht beleidigt hatte und mir auch nicht das Leben schwer machte. »Dann ist es ja gut, dass du wieder hier bist, oder?«, versuchte ich es.
»Genau.« Sie wandte sich ihrem Koffer zu, dabei achtete sie darauf, dass sie das Zahlenschloss verdeckte, damit ich ja nicht ihre Kombination ausspionieren konnte, und begann mit dem Auspacken. Alles war perfekt zusammengelegt. Sie förderte vier weiße Blusen zutage, die noch in Plastik eingeschweißt waren, sowie zwei blaue Hosen, an denen noch Preisschilder hingen. Das überraschte mich echt. Ich hatte gedacht, Catherine trüge diese Kluft, weil noch so viele Blusen von ihrer alten Schuluniform übrig waren und sie sich keine neuen Sachen kaufen wollte. Mir war es nie in den Sinn gekommen, dass jemand freiwillig so rumlaufen könnte.
Ich hätte liebend gern neue Sachen gehabt, aber Oma und ich hatten kaum genug Geld, um die Stromrechnung zu zahlen, also stammte meine Garderobe aus dem
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