Night School 01 - Du darfst keinem trauen
vorbei, in einen Rosengarten. Dornen rissen an Händen und Kleidern. Zweige knackten unter den Füßen.
Plötzlich packte jemand Jo, hob sie von den Beinen und zerrte sie in einen in die Mauer eingebauten Raum. Allie hörte einen erstickten Schrei.
»Schhhh!« Gabe legte seinen Finger an die Lippen und sah Jo in die Augen. Jo warf die Arme um ihn und vergrub das Gesicht in seinem Nacken.
Gabe wollte auch Allie zu sich heranziehen, doch im selben Moment fasste noch jemand nach ihrem Arm. Allie blickte erschrocken auf und sah in Sylvains blaue Augen, die sie unverwandt anschauten.
Er zog sie in den dunklen Raum und flüsterte beinahe unhörbar: »Leise.«
Sechs
Allie stand wie angewurzelt da und versuchte, nicht zu atmen. Gabe legte die Arme um Jo, während Sylvain sich schützend vor Allie stellte. Gebannt blickten sie durch die Türöffnung.
Allie zuckte zusammen. Da war es schon wieder. Wütend raste es durch den Garten, aber weiter weg diesmal. Und plötzlich … Stille.
Als eine Weile nichts geschah, tauschten Gabe und Sylvain kurz Blicke und liefen dann wie auf Kommando zur Tür. Gabe suchte mit den Augen die Umgebung ab, dann drehte er ihnen den Kopf zu und nickte. So leise wie möglich huschten sie hinaus in den Garten, den Pfad entlang und durchs Tor hinaus Richtung Wiese. Wortlos reichte Jo Gabe das Schloss, und er sicherte rasch das Tor.
Erst da wurde Allie bewusst, dass Sylvain die Arme um sie geschlungen hatte. Ein ganz eigener Duft von Wacholder oder Kiefern umgab ihn. Sie atmete hörbar ein und ließ sich tiefer in seine Arme sinken. Sofort umfasste er sie noch fester.
Während am Himmel die letzten matten Lichtstrahlen verglommen, führte Gabe sie zu einem Hintereingang des imposanten Schulgebäudes, über den sie direkt in den Hauptflur gelangten. Jetzt erst bemerkte Allie, dass Jo ganz blass war und sich tränennass an Gabe klammerte. Ein rotes Rinnsal lief an ihrer Wange herunter, Gabe betastete es mit dem Finger.
»Du bist verletzt, du musst zur Krankenschwester«, sagte er. Jo nickte nur.
Gabe legte ihr den Arm um die Schulter und machte sich auf den Weg. Wieder spürte Allie diesen merkwürdig nagenden Neid. Als hätte er es bemerkt, trat Sylvain auf sie zu, strich ihr das Haar zurück und sah ihr prüfend ins Gesicht.
»Hast du auch was abbekommen?« Die Sorge in seinen Augen brachte ihr Herz zum Flimmern. Sie spürte den beinahe unbändigen Drang, zurück in Sylvains Umarmung zu flüchten und seinen Duft einzuatmen. Überall, wo er sie berührt hatte, kribbelte es.
Zitternd holte sie Luft. »Was war das da draußen, Sylvain?«
»Ich weiß es nicht.«
Irgendetwas an seinem Tonfall verriet ihr, dass das nicht die ganze Wahrheit sein konnte. Als verheimlichte er ihr etwas – etwas Wichtiges. Sie warf ihm einen scharfen Blick zu und sagte entschlossen: »Wir müssen Isabelle erzählen, was passiert ist.«
»Vermutlich hast du recht«, erwiderte er. »Aber lass uns damit bis morgen warten. Bestimmt schläft sie schon. Jetzt, wo alle in Sicherheit sind, willst du doch nicht die Pferde scheu machen, oder?«
Sie wollte widersprechen, beugte sich dann aber seiner Logik – im Grunde genommen hatten sie ja gar nichts gesehen. Doch nach dem Adrenalinstoß im Garten und der aufregenden Rettungsaktion verspürte sie den Drang, irgendetwas zu tun. Hinausgehen zum Beispiel und die Gegend absuchen, nach was auch immer. Oder wenigstens sich hinsetzen und über das Geschehene reden. Sie konnte jetzt unmöglich einschlafen.
»Sollen wir mal nach Jo schauen?«, schlug sie hoffnungsvoll vor.
»Es geht ihr gut, Gabe ist bei ihr«, sagte Sylvain und schwieg dann eine Weile. Zurückhaltend, als ahnte er ihre Antwort schon, fuhr er fort: »Hör mal, es ist schon längst Nachtruhe. Du solltest jetzt schlafen gehen, und morgen gehen wir der Sache dann in aller Ruhe auf den Grund.«
Allie traute ihren Ohren nicht. »Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Nein, Sylvain! Ich möchte darüber unbedingt reden. Sag mir bitte ehrlich: Was hast du da draußen gesehen?«
Sylvains Antwort war wohlüberlegt.
»Ich habe leider gar nichts gesehen. Vielleicht war es irgendein Tier. Vielleicht hast du einen Fuchs oder einen Dachs aufgescheucht.« Als sie den Mund aufmachte, um zu protestieren, hob er die Hand und unterbrach sie: »Du bist müde, Allie, genau wie ich. Du solltest jetzt wirklich schlafen gehen.«
Allie wäre lieber geblieben, aber einen Arrest wegen Missachtung der Nachtruhe zu riskieren, bloß
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