Night School 01 - Du darfst keinem trauen
festsaß«, sagte Sylvain achselzuckend. »Das passiert schon mal.«
Allie sah ihn prüfend an. »Carter denkt, ein paar von den Jungs hätten sich einen Spaß mit mir erlaubt.«
Sylvain runzelte die Stirn. »Lächerlich. Das hätte ich mitbekommen. Finde ich komisch, dass er so was sagt.«
Aus irgendeinem Grund war Allie erleichtert, das zu hören. »Ja«, sagte sie. »Hab ich auch gedacht.«
Als sie den Rasen vor dem Schulgebäude erreichten, kam Allie ein Gedanke. »Wieso hat Isabelle eigentlich dich geschickt, um mich zu suchen, und nicht einen von den jüngeren Schülern?«, fragte sie.
»Ach, ich war auf einer Sitzung der Vertrauensschüler, und da hat sie mich angesprochen«, sagte er. »Das ist nicht ungewöhnlich. Sie weiß, dass wir … Freunde sind.«
Sie sah ihn überrascht an. »Ich wusste nicht, dass du Vertrauensschüler bist.«
»Tatsächlich?«, sagte er und zog sie zu sich heran. »Na, dann weißt du eben jetzt, dass du alles tun musst, was ich sage. Weil ich der Boss bin.«
Lachend machte sie sich los. »Ach, so läuft das? Na, das werden wir noch sehen.«
Sie rannte los, Sylvain hinter ihr her, und als er sie an der Schultür einholte, schüttelte sie sich vor Lachen. Als sie die Hand nach dem Türgriff ausstreckte, ging plötzlich die Tür auf, und Mr Zelazny trat heraus.
Allies Gekicher erstarb.
»Miss Sheridan.« Obwohl es Samstag war, trug der Geschichtslehrer immer noch Anzug und Krawatte. In seiner Stimme lag Tadel. »Es freut mich zu sehen, dass Sie den morgendlichen Arrest so ernst nehmen.«
Ich bin schon von weniger griesgrämigen Menschen hochgenommen worden , dachte Allie.
Doch bevor sie etwas sagen konnte, trat Sylvain einen Schritt vor. »Es ist meine Schuld, Mr Zelazny. Ich wollte Allie aufmuntern, weil sie so traurig war wegen des Arrests, es war ein schwieriger Vormittag für sie. Bitte geben Sie ihr nicht die Schuld für etwas, das ich getan habe.«
Zelazny ging an ihnen vorbei. »Den Arrest hat sie wahrlich verdient.«
»Selbstverständlich«, sagte Sylvain und schob Allie sanft in die Eingangshalle, während sie verzweifelt versuchte, nicht loszuprusten.
Als sie außer Hörweite waren, lachte Allie umso lauter, doch Sylvain gebot ihr zu schweigen. »Nicht hier, ma belle Allie«, flüsterte er. »Er hat ein ausgezeichnetes Gehör.«
Sie schlug die Hände vor den Mund, um ihr Kichern zu unterdrücken.
»Ich möchte ja nicht, dass du für den Rest der Woche Arrest aufgebrummt kriegst«, sagte Sylvain. »August ist sehr … sensibel.«
»August?«, fragte sie.
»Mr Zelazny. Er heißt so mit Vornamen.«
»Oh …«
»Und jetzt«, sagte Sylvain, »muss ich dich verlassen. Isabelle wartet im ersten Klassenzimmer auf der rechten Seite. Viel Glück.«
Er beugte sich vor und küsste ihre Hand.
Allie wusste nicht recht, was sie erwidern sollte.
»Bis dann!«, sagte sie ein bisschen zu fröhlich, bevor sie zu den Klassenzimmern lief.
Die erste Tür rechts war geschlossen. Allie klopfte leise.
»Komm rein«, antwortete sogleich die klare Stimme der Rektorin.
Isabelle saß inmitten diverser Papierstapel am Lehrerpult. Vor ihr stand ein geöffneter Laptop, den sie schloss, bevor Allie auf den Bildschirm gucken konnte. Sehnsüchtig sah Allie ihn an.
Es gibt also doch noch ein modernes Leben.
»Setz dich, bitte«, sagte Isabelle und deutete auf einen Stuhl in der Nähe. »Du musst entschuldigen – ich mache gerade die Buchhaltung, und da kommt es mir jedes Mal so vor, als müsste ich einen ganzen Gemeindesaal mit Papier füllen, deshalb bin ich in eins der Klassenzimmer ausgewichen, hier kann ich mich einfach mehr ausbreiten.«
Sie nahm die Brille ab, stand auf und streckte sich. Dann setzte sie sich neben Allie. »Wie lief’s heute Morgen beim Arrest?«
»Ganz gut, glaube ich«, sagte Allie achselzuckend. »Also, es war anstrengend, hat aber Spaß gemacht.«
Isabelle lächelte sie freundlich an. »Nach meinem Empfinden ist August zu streng mit dir gewesen, und das habe ich ihm auch gesagt. Ich möchte, dass du das weißt. Ich wollte nicht seine Autorität untergraben, indem ich seine Strafe zurücknehme, aber ich halte sie nicht für gerecht.«
Ihre Worte kamen so unerwartet, dass Allie nichts darauf einfiel – kein Mensch hatte sich je bei ihr für eine Ungerechtigkeit entschuldigt. Sie wusste gar nicht, dass es so was geben konnte.
»Danke«, sagte sie, etwas Besseres fiel ihr auf die Schnelle nicht ein. Doch Isabelle schien an ihrem Gesicht ablesen
Weitere Kostenlose Bücher